Operation Asilah, die ersten drei Kapitel des neuen Leo-Rivenhall-Thrillers

Demnächst erscheint Operation Asilah, der 2. Leo-Rivenhall-Thriller. Hier könnt ihr schon einmal die ersten drei Kapitel lesen. (Das fertige Buch weicht eventuell an einigen Stellen geringfügig von diesem Text ab. Und ist natürlich besser gesetzt.)

1

Leo Rivenhall hatte sich seinen neuesten Einsatz für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 romantischer vorgestellt. Und weniger öde und schweißtreibend.
Seit einer geschlagenen halben Stunde hockte er nun bereits in dem von einer Mauer umgebenen Garten hinter einem ausladenden Jasminstrauch und beobachtete in der nächtlichen Stille die Villa, die nur vom Licht des Mondes und der Sterne beleuchtet wurde.
Er wollte absolut sicher sein, dass sich dort nichts und niemand regte, bevor er den nächsten Schritt wagte. Nämlich durch eine Seitentür in das Gebäude einzubrechen.
Die Fenster fielen aus, denn die waren samt und sonders vergittert, und das nicht nur im Erdgeschoss. Wenigstens ließ sich hinter keinem von ihnen Licht wahrnehmen. Abgesehen von zweien in der Nähe des Haupteingangs, wo sich die Wachen aufhielten. Das wusste er, weil er die Villa zweimal vorsichtig umrundet hatte, um sich einen Überblick zu verschaffen, direkt nachdem er von dem unbebauten Grundstück auf der einen Seite des Geländes über die Mauer in den Garten vorgedrungen war.
Ein Umstand half ihm bei seiner heutigen Aktion: So wie das gesamte Land war auch sein Zielobjekt, dieses Gebäude, eher darauf ausgerichtet, dass man nicht heraus- und nicht, wie sonst oft der Fall, nicht hineinkam.
Dafür sprachen einige Anzeichen, die vermutlich nur jemandem wie Leo auffielen. Zum Beispiel waren die Überwachungskameras so angebracht, dass sie Personen zeigten, die das Haus verließen, jedoch nicht, oder zumindest nicht lückenlos, ob jemand über die hohe Mauer in den Garten eindrang. Die Bewohner gingen vermutlich zu Recht davon aus, dass es niemand wagen würde, bei ihnen einzubrechen. Leo war die Ausnahme, die diese Regel bestätigte.
Das Haus selbst, eine prächtige, sichtlich neue Villa im Stil eines hochklassigen italienischen Landhauses, nur zwei bis drei Nummern größer, hätte irgendwo auf der Welt stehen können: in London, in Miami, in Sydney. Überall, wo jemand mit mehr als genug Geld sich einen solchen Kasten hinstellen konnte. Allenfalls die Vegetation im Garten, etwa die Palmen, deutete darauf hin, dass er sich nicht in Stockholm oder Berlin befand. Sondern in der Nähe von Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.
Die Blüten des Jasmins dufteten betörend und er musste an die Märchen aus 1001 und einer Nacht denken. Doch er durfte sich nicht ablenken lassen.
Es war nicht nur die Anspannung, die ihn ins Schwitzen brachte. Selbst im März und um fast drei Uhr nachts war es in den Vereinigten Arabischen Emiraten ziemlich warm. Tagsüber wurde es schon beinahe zu heiß für seinen Geschmack. Möglicherweise machte sich wieder einmal die Klimakrise bemerkbar. Vielleicht wurde ihm auch wegen seiner Kleidung heiß, der langen schwarzen Hose und dem langärmligen schwarzen Rollkragen-Shirt. Ganz zu schweigen von der Balaklava, die nur seine Augen frei ließ.
Dummerweise staute sich die Wärme hinter seiner Maskierung so sehr, dass die Haut unter seinen Bartstoppeln zu jucken begann. Er war lieber glatt rasiert. Aber in dieser Gegend der Welt war es einfacher, als Einheimischer durchzugehen, wenn man sich einen Vollbart wachsen ließ, womit er vor mehr als drei Wochen begonnen hatte, und diesen sorgfältig auf eine recht kurze Länge trimmte. Zusätzlich hatte er sein Haar zwei Tage vor dem Abflug von einer Coloristin beim Friseur seines Vertrauens färben lassen. Das Schwarz war nur wenig dunkler als seine natürliche Haarfarbe, sodass der Unterschied am Haaransatz speziell in den ersten Wochen kaum auffallen sollte. Sein Bartwuchs war zum Glück von allein dunkel genug.
Bei einem Einsatz wie diesem zählte jedes Detail und es könnte von Vorteil sein, sich im Falle eines Falles als jemand anderes ausgeben zu können.
Wenigstens die Kontaktlinsen, die er trug, um seine Augenfarbe zu verändern, störten ihn nicht. Mit braunen Augen fiel er in diesem Land weniger auf als mit blauen.
Leo Rivenhall löste sich aus dem Schatten des Jasmins und huschte geduckt auf das Haus zu. Er durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate, kurz: VAE, waren dafür bekannt, dass sie mit Straftätern, echten oder angeblichen, nicht zimperlich umgingen. „Demokratie“, „Rechtsstaat“ und Ähnliches waren hier Fremdwörter.
Als Leo eine Palme auf halbem Weg zum Haus erreichte, richtete er sich auf. Er war bereits zum dritten Mal in dieser Gegend, in der Wohnstätten für die Superreichen erbaut worden waren. Zweimal hatte er die Villa und ihre Umgebung bei Tag ausgekundschaftet, einmal als ein Tourist, der sich verfahren hatte, einmal als Fahrer, der etwas abliefern wollte. Dabei hatte er sich auch gemerkt, wo Überwachungskameras angebracht waren. Außerdem hatte er mit Bediensteten gesprochen, Männern und Frauen aus Bangladesch und den Philippinen. Diese und andere Länder Süd- und Südostasiens stellten den größten Teil der Arbeitskräfte in dem Land und damit der Menschen, die in den VAE lebten.
Ein Rascheln im Gras ließ ihn zusammenzucken. Reglos verharrte er, dicht an den Stamm der großen Palme geschmiegt, in der Hoffnung, dass sein Umriss in der Dunkelheit mit dem des Baums verschmolz. In seiner Brust konnte er seinen Herzschlag fühlen, der beruhigend gleichmäßig blieb.
Er ließ seinen Blick schweifen. Nichts. Vermutlich irgendein Tier.
Hätte er ein Nachtsichtgerät mitbringen sollen? Vielleicht. Doch je weniger er mit sich herumschleppte, desto unauffälliger konnte er sich bewegen.

2

Leos Ziel, der Seiteneingang, der – vermutlich aus der Küche heraus – zu einer Art Kräutergarten führte, schien unbewacht zu sein, wenn man von der Kamera absah, die über dem Türrahmen angebracht war.
Sollte er es wagen? Sich in der Villa umsehen, soweit das unentdeckt möglich war?
Er vermied den kiesbestreuten Weg zur Tür und bewegte sich parallel dazu geduckt im Schatten einiger Büsche, an denen vielleicht einmal irgendwelche Beeren wachsen würden, auf die Seitentür zu. So wäre er auf den Bildern der Überwachungskamera, die auf den Weg gerichtet war, nicht wahrzunehmen.
Er verharrte kurz, um sicherzugehen, dass sich nicht irgendwo einer der Wachmänner für eine Zigarettenpause im Garten aufhielt und ihn entdecken würde, wenn er sich der Tür näherte.
Alles war still und verlassen.
Immer noch parallel zu dem Kiesweg umrundete er ein von einer niedrigen, achteckigen Mauer umgebenes „Wasserelement“, ein Zwischending zwischen Teich und Brunnen, das zu groß und auffällig war, um sich, auch noch in einem Küchengarten, in die Umgebung einzupassen.
Geschmack war nicht die Stärke des Hausbesitzers. Das hatten Leo schon seine Erkundungen bei Tageslicht verraten. Der Garten zum Beispiel war aus allen möglichen Elementen und Pflanzen zusammengestückelt, ohne klare Linie, ohne ein einheitliches Design.
Leo hielt weiterhin Abstand, denn das Mäuerchen um den ausladenden Brunnen zierten zahlreiche Blumentöpfe mit üppigen Pflanzen. Die hätten ihm zwar vor der Kamera Deckung geboten, doch es hätte ihm gerade noch gefehlt, dass er aus Unachtsamkeit gegen einen davon stieß und ihn laut platschend ins Wasser oder, eine Kettenreaktion auslösend, gegen den nächsten kippte. Das ganze Arrangement wirkte überladen und machte keinen stabilen Eindruck.
Die Wachen, die sich im Inneren des Hauses beim Haupteingang aufhielten, waren, so sein Eindruck, möglicherweise nicht besonders kompetent, aber vermutlich nicht taub.
Im nächsten Moment hatte er das Hindernis umrundet. Mit einigen wenigen Schritten näherte er sich seinem Ziel, dem Nebeneingang, von der Seite her. Die Tür selbst und der Bereich unmittelbar davor wurden von der darüber angebrachten Kamera nicht erfasst.
Wer auch immer die Sicherheitsmaßnahmen für die Villa arrangiert hatte, war ein Stümper und hatte nicht damit gerechnet, dass er es mit einem Profi wie Leo zu tun bekommen könnte.
Da er sich hätte verrenken müssen, um das Licht des Mondes nicht zu blockieren, beleuchtete er das Türschloss mit einer kleinen Taschenlampe, die er im Mund hielt.
Auf den ersten Blick sah das Set von Dietrichen, das er dabeihatte, aus wie ein Taschenmesser, doch statt Klingen und Korkenzieher ließen sich verschiedene Werkzeuge ausklappen oder herausziehen, mit denen er auch anspruchsvolle Schlösser öffnen konnte. Es war ein Geschenk seines Auftraggebers, des Geheimdienstes MI6, und von erheblich besserer Qualität als ähnliche Gerätschaften, die man irgendwo kaufen konnte.
Im Nu hatte er das Schloss mithilfe je eines passenden Spanners und Hakens geöffnet. Schnell steckte er das Lockpicking-Werkzeug zusammengeklappt zurück in seine hintere Hosentasche.
Ganz langsam drückte er die Tür nach innen auf. Die Scharniere waren offensichtlich gut geölt, denn sie gaben keinen Laut von sich. Erleichtert atmete Leo durch.
Während er auf leisen Sohlen die Küche betrat, ließ er den Schein der kleinen, aber lichtstarken Taschenlampe über das Innere des großen Raumes gleiten.
Drei Kühl- oder Gefrierschränke, die fast bis zur Decke reichten, fielen ihm zuerst ins Auge. Einer besaß eine durchsichtige Tür und war offensichtlich Getränken vorbehalten.
Neben einem der beiden Herde waren zwei große gusseiserne Pfannen, ein Schneidebrett und einiges mehr abgestellt. Möglicherweise für die Zubereitung des Frühstücks am nächsten Morgen. Außerdem sah er verschiedene geschlossene Schränke. Über einem großen Tisch in der Mitte der Küche hingen an zwei parallelen Stangen einige kleinere Pfannen, Kellen und andere Utensilien.
Ein massiver Holztisch statt einer geschlossenen Insel im Zentrum des Raums? Irgendjemand hatte sich offenbar das Thema „italienisches Landhaus“ beim Designen der Küche zu Herzen genommen.
Auf dem Tisch war ordentlich allerhand Geschirr platziert, Teller, Tassen und Ähnliches und lose mit Geschirrtüchern abgedeckt. Vermutlich als Vorbereitung für den nächsten Morgen.
Leo knipste die Taschenlampe aus, denn er wusste nicht, was oder wer ihn hinter der Tür auf der gegenüberliegenden Seite erwartete. Er ließ einige Sekunden verstreichen, bis seine Augen sich an die relative Dunkelheit gewöhnt hatten. Denn tatsächlich schien der zunehmende Mond durch die Fenster zum Garten in den Raum, sodass Leo auch ohne eine zusätzliche Lichtquelle zumindest Umrisse gut erkennen konnte.
Er streckte die Hand nach der Türklinke aus …
… da spürte er etwas hinter sich. Einen Luftzug, eine Bewegung.
Instinktiv duckte er sich zur Seite weg und drehte sich dabei gleichzeitig um.
Etwas Massives (eine Pfanne?) sauste haarscharf an seinem Kopf vorbei.
Blitzschnell machte er einen Schritt aus der Gefahrenzone heraus und richtete sich zu einem sicheren Stand auf.
Direkt gegenüber von ihm holte jemand erneut aus. Jemand, der stark sein musste, denn er hielt die massive Pfanne mit einer Hand. Jemand, der wie er ganz in Schwarz gekleidet war und eine dunkle Sturmhaube trug. Der etwa so groß war wie er selbst und von ähnlicher Statur.
Im ersten Moment hatte Leo das gespenstische Gefühl, in einen Spiegel zu schauen.
Dieser Eindruck verflog allerdings, sobald er versuchte, seinem Gegner die Pfanne zu entwinden. Er machte einen Schritt auf den anderen zu, sodass er ihn bedrängte, drehte sich etwas in ihn hinein und griff mit seiner Rechten nach dem Handgelenk des Angreifers und mit seiner Linken nach dem Pfannenstiel.
Das Handgelenk war irritierend dünn, beinahe zierlich. Während er es fester packte, hörte er ein empörtes Japsen in einer unerwartet hohen Tonlage.
Leos rechter Arm berührte den Gegner an dessen Brust.
Die weich nachgab. Wie … eine weibliche Brust?
Was?
Sein Gegner war … eine Frau?!

3

Wer war diese Frau? Was wollte sie hier?
Einbrechen. Na klar. Sie hatte das Gebäude durch die von Leo aufgeschlossene Tür betreten.
Aber um was zu tun? Um irgendwelche Wertgegenstände zu stehlen?
Für weitere Spekulationen blieb ihm keine Zeit. Er hatte die Pfanne leise auf dem großen Tisch in der Mitte der Küche abgestellt und nun alle Hände voll damit zu tun, die Attacken seiner Gegnerin abzuwehren.
Und zwar leise, damit sie keine Aufmerksamkeit erregten.
Immerhin waren mindestens zwei Wachen im Haus, wenn auch vermutlich weiter weg, in der Nähe der Eingangstür.
Wenigstens besaß seine Gegnerin so viel Verstand, ebenfalls keinen Laut von sich zu geben.
Oder doch nicht? Was zischte sie da auf Arabisch, während sie nach ihm trat und versuchte, ihm Fausthiebe und Handkantenschläge zu versetzen?
Es klang wie: „Verschwinde, du Hund. Hau ab.“
Er bekam ihren rechten Unterarm zu fassen. Sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu lösen und gleichzeitig, mit ihrer linken Faust seinen Solarplexus zu treffen.
Verbissen rangen sie miteinander.
Denn Leo dachte nicht daran, sich aus dem Staub zu machen, ebenso wenig wie offenbar die Unbekannte. Er musste verhindern, dass sie entdeckt wurde, und sie durfte auch keinen Diebstahl begehen. Denn dann würden die Sicherheitsmaßnahmen im Haus und in dessen Umgebung wahrscheinlich verschärft.
Verdammt. Bis jetzt war es ihm durch geschicktes Ausweichen gelungen, zu vermeiden, dass sie mit ihrem Knie seine edelsten Körperteile erreichte. Doch dafür hatte sie ihm jetzt einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein versetzt. Trug sie Stiefel mit Stahlkappen?
Sie waren etwa gleich groß. Zwar war Leo stärker als die Frau, weshalb er ihr letztlich die Pfanne hatte abnehmen können, doch seine Gegnerin versuchte, eine Reihe mieser Tricks anzuwenden. Sie war offensichtlich geübt in dem, was man gemeinhin als „Straßenkampf“ bezeichnete.
Leise und verbissen versuchten sie, verschiedene Attacken anzuwenden beziehungsweise abzuwehren. Einzig ein leises, angestrengtes Keuchen war von beiden zu hören.
Plötzlich änderte die Fremde ihre Taktik. Mit ihrer inzwischen wieder freien rechten Hand griff sie nach hinten, zu ihrem Rücken. Vermutlich trug sie dort eine Pistole oder, was wahrscheinlicher, aber nicht weniger gefährlich war: ein Messer.
Leo selbst war unbewaffnet.
Jegliche Vorsicht missachtend, stieß er seine Gegnerin mit aller Kraft gegen die Tischkante, sodass ihre Hand hinter ihrem Rücken eingeklemmt wurde.
Doch er hatte zu viel Kraft eingesetzt. Denn der gesamte Tisch setzte sich in Bewegung, was nicht geräuschlos vor sich ging.
Zwar glitten die hölzernen Beine relativ leise über den gefliesten Boden. Aber das Geschirr auf dem Tisch begann zu klappern und ein hoher Stapel Teller, der neben der Frau stand, geriet bedenklich ins Wanken.
Leo blieb aber auch nichts erspart.
Er musste seine Gegnerin loslassen, um die aufgestapelten Teller mit beiden Händen festzuhalten. Zum Glück trug er Handschuhe, sodass er keine Fingerabdrücke hinterlassen würde.
Um ein Haar hätte er mit seiner hektischen Bewegung eine der Kellen, die an einer Stange über dem Tisch in Reichweite baumelten, heruntergeschlagen. Es fehlten nur wenige Millimeter.
Doch ihm blieb keine Zeit zum Aufatmen.
Denn in seinem verzweifelten Versuch, die Teller zu stabilisieren, hatte er seine Gegnerin zu Seite gestoßen.
Die wollte sich auf dem Tisch abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, holte blindlings mit einer Hand aus und kippte zwei Gläser um.
Die wie in Zeitlupe auf die Tischkante zurollten.
Weit außerhalb von Leos Reichweite.
Der Schwerkraft folgend fielen die beiden Gläser.
Leo sah sie bereits auf dem Küchenboden zerschellen.
Da fing die Unbekannte sie in letzter Sekunde geschickt mit beiden Händen auf.
Das war knapp.
Sie arbeiteten – in dieser Hinsicht – zusammen wie ein eingespieltes Team. Es war weder im Interesse der Unbekannten noch in dem von Leo, dass jemand im Haus auf sie aufmerksam wurde.
Die Waffe, die seine Gegnerin mutmaßlich hatte ziehen wollen, schien vergessen.
Wie eine Verrückte stürzte sie sich nun auf Leo und versuchte, ihn an seinen Oberarmen zu packen. Was ihr nur bei einem gelang.
An dem sie mit aller Gewalt zog. Anscheinend wollte sie Leo um den Tisch herum und durch die Tür in den Garten bugsieren.
Wobei sie voll unterdrückter Wut etwas auf Arabisch zischte, das klang wie: „Hau endlich ab!“
Was Leo mehr ihrem Tonfall und dem, was sie tat, entnahm, als dass er es tatsächlich verstand. Denn natürlich sprach sie sehr leise.
Und dann, in diesem Moment, in dem sie beide abgelenkt waren, passierte es.
Die Frau, die sich rückwärts bewegte, stolperte über etwas.
Ein lauter Schrei war zu hören, der in ein Fauchen überging. Wie von … einer Katze?
Eine Streunerin zweifellos, denn Leo hatte bei seinen Erkundungen keine Hinweise auf Haustiere entdeckt.
Abrupt kehrte seine Aufmerksamkeit zu seiner Gegnerin zurück.
Dadurch, dass sie heftig zurücktaumelte und, um nicht den Halt zu verlieren, noch stärker an seinem Arm zog. Dadurch, dass sie, wie er inzwischen wusste, ziemlich stark war und bei einer Größe von gut 1,80 Meter auch kein Leichtgewicht. Dadurch also stolperte er nun seinerseits unkontrolliert auf sie zu.
Sie drohten beide zu stürzen, stießen dabei gegen den Tisch. Zu spät ließ sie seinen linken Arm los. Der hatte bereits eine Karaffe umgestoßen, die im Kippen gegen die Gläser fiel und alles rollte und stürzte über die Tischkante …
Beide griffen gleichzeitig nach den Gläsern, der Karaffe und dem Stöpsel, der sich aus dieser gelöst hatte.
Ihre Hände stießen zusammen.
Leo gelang es trotz allem, eines der Gläser aufzufangen und sich gleichzeitig selbst, frei von seiner Angreiferin, zu stabilisieren.
Doch es war zu spät.
Das Klirren der auf dem gefliesten Boden zerschellenden Gläser und Karaffe war in der Stille der Nacht weithin zu hören.
Am Rande nahm er wahr, wie eine magere Katze wie ein Schatten durch die Küchentür in den mondbeschienen Garten hinaushuschte.
Hinter der anderen Tür, also aus dem Inneren der Villa, waren laute arabische Rufe zu vernehmen.
Wenn Leo richtig verstand, forderte ein Mann einen anderen auf, mit seinem Funkgerät Hilfe herbeizurufen. Und rief dann: „Die Engländer, ruf die Engländer.“
Was ein klein wenig desorientierend war, denn Leo selbst war ja Engländer.
Seine Gegnerin nutzte den winzigen Moment seiner Verwirrung und rannte um den Tisch zu der Tür, zu der sie kurz zuvor hereingekommen war.
Das Ganze war ein einziges Desaster und Leo musste ebenfalls zusehen, dass er wegkam.
Rückzug war die einzige vernünftige Option.
In der Tür stieß er mit der Unbekannten zusammen, während gleichzeitig hinter ihnen zwei Männer aus dem beleuchteten Flur in die Küche stürzten und durcheinander brüllten: „Halt! Oder wir schießen. Keine Bewegung.“
Leo und die Unbekannte drehten sich gleichzeitig um.
Die beiden Wachen kamen, ihre Pistolen wild vom einen zur anderen schwenkend, immer näher auf sie zu.
Anfängerfehler.
Überraschend harmonisch, wie ein eingespieltes Team, griffen Leo und die Frau jeweils einen der beiden an und entrissen ihnen die Waffen, ohne dass es den Männern gelang, auch nur einen Schuss abzufeuern.
Leo machte mit seinem Gegenüber kurzen Prozess. Wie er es zahllose Male trainiert hatte, drückte er, hinter dem Mann stehend, mit einem Würgegriff seines rechten Arms die beiden Halsschlagadern seines Gegners ab und erhöhte dadurch gleichzeitig den Druck auf bestimmte Rezeptoren, die sich dort befanden, was beides den Blutfluss zum Gehirn verringerte. Innerhalb von Sekunden hatte der Mann das Bewusstsein verloren. Wodurch Leo ihn ausschalten konnte, ohne ihn zu töten.
Wenn möglich, vermied er unnötige Gewalt. Außerdem wären ein Toter und die damit verbundenen Ermittlungen und die zweifellos intensive Suche nach dem Täter für seinen Einsatz mehr als hinderlich.
Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass die zweite Wache ebenfalls in sich zusammensackte.
An der Tür stieß er mit der Unbekannten zusammen. Schon zum zweiten Mal. Bloody hell!
Er ließ der Dame den Vortritt. Damit sie endlich abhauen konnten.
Fand sich im Garten wieder.
Und erblickte die Verstärkung, die die Wachen herbeigerufen hatten.
Drei martialisch aussehende Männer, die durch ein Tor vom Grundstück der Nachbarvilla auf sie zukamen.

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