Mission Molokai, die ersten vier Kapitel

Soeben ist Mission Molokai, der 3. Leo-Rivenhall-Thriller, erschienen.

Für diejenigen, die schnell mal in das Buch hineinschnuppern möchten, hier der Anfang:

1

Leo Rivenhall betrachtete vom Beifahrersitz aus zufrieden seine Umgebung. Endlich führte ihn die Arbeit für den Geheimdienst mal in einen Teil der Welt, den man ohne Übertreibung als paradiesisch bezeichnen konnte. Das wurde auch langsam Zeit nach Gegenden wie Belarus, den Arabischen Emiraten und dem wilden Nordwesten von Pakistan.

In Hawaii wirkte alles so lebendig und strahlend. Das Grün der Vegetation war frisch und kraftvoll, das Blau von Himmel und Meer klar und intensiv. Sehnsüchtig schaute Leo durch das Fenster des Chevrolets auf die Landschaft. Auf der einen Seite ragten bewaldete Berge vulkanischen Ursprungs steil auf, auf der anderen lockte die endlose Weite des Pazifischen Ozeans.

Es waren Bilder wie aus einem Urlaubsprospekt der Luxusklasse. Zugegeben, was er im Vorbeifahren von Honolulu gesehen hatte, besaß teilweise etwas unangenehm Künstliches, irgendwie Billiges. Aber er wollte nicht zynisch sein und seinen Aufenthalt so weit wie möglich genießen.

Doch so erfreulich das alles auch war, es nützte nichts. Er musste sich mit der aktuellen Situation beschäftigen. Er war schließlich nicht zum Vergnügen hier. Jedenfalls nicht nur.

Also riss er sich von den atemberaubenden Aussichten, die das Inselparadies auf beiden Seiten der Straße bot, los und wandte sich Special Agent Joseph Toogood zu, der neben ihm saß und seinen Dienstwagen ruhig durch den trägen sonntäglichen Verkehr lenkte. Vor nicht einmal einer Stunde hatte er Leo am Daniel K. Inouye International Airport nahe Honolulu abgeholt.

Joseph Toogood. Ob Leo sich wohl jemals an den Namen gewöhnen würde?

Leo sollte in Hawaii für den MI6 „einen kleinen, einfachen Auftrag“ erledigen. So hatte es die Chefin des britischen Auslandsgeheimdiensts formuliert. Genauer gesagt sollte er dem Special Agent dabei helfen, einen Verräter in der FBI-Außenstelle in Honolulu ausfindig zu machen. Jemanden, der mutmaßlich für den chinesischen Geheimdienst arbeitete.

Joseph Toogood, der stellvertretende Leiter des FBI-Büros in Honolulu, kannte die Chefin des MI6 irgendwie und hatte sie um Hilfe gebeten, weil er nicht wusste, wem von seinen Kolleginnen und Kollegen in der Behörde er trauen konnte.

Die Leiterin des Geheimdiensts wurde von allen nur „die Baroness“ genannt. Weil sie eine war und weil es ihrer imposanten Erscheinung entsprach. Sie hatte sich nicht lange bitten lassen und umgehend ihren „besten Mann“ nach Hawaii geschickt, wie sie Leo augenzwinkernd erklärte, als sie ihm den Auftrag erteilte.

Josephs FBI-Kollegen gegenüber wollten sie Leos Anwesenheit damit verkaufen, dass er zwei Seminare über „human hacking“ unterrichten würde. Etwas, wovon er, zugegeben, eine Menge verstand.

Doch kaum hatte er den Boden des 50. amerikanischen Bundesstaates betreten, als die ursprünglichen Pläne über den Haufen geworfen wurden.

„Nur damit ich es richtig verstehe“, sagte Leo jetzt. Er sprach langsam, denn es fiel ihm schwer, gegen seine Urlaubsstimmung anzukämpfen.

Wollte er das überhaupt?

Doch. Schließlich wollte er den MI6 nicht verärgern und noch viel weniger dessen neue Chefin.

„Also“, setzte Leo erneut an. „Nur, damit ich das richtig verstehe. Es klang etwas kompliziert, als du es vorhin erklärt hast. Du fährst mich jetzt nicht wie geplant zum Hotel, sondern möchtest stattdessen gewisse Nachforschungen anstellen, von denen deine Kollegen nichts wissen sollen, weil sich unter ihnen ein Maulwurf befindet.“

Joseph nickte.

„Und dass du dich heute Nachmittag um mich kümmerst“, fuhr Leo fort, „ist ein guter Vorwand, um geheim zu halten, dass du mit einer Zeugin sprechen willst.“

„Korrekt“, antwortete Leos Begleiter.

„Diese Zeugin, zu der wir unterwegs sind, glaubt nicht, dass ihr Chef von einer Klippe gesprungen und nun tot ist?“, fragte Leo weiter.

„Korrekt. Was würdest du glauben, wenn ein Experte spurlos verschwindet, der eine neue Methode entwickelt hat, wie man Mikrochips auf einfachere Art herstellen kann?“, entgegnete Joseph. „Und zwar hochkomplexe Mikrochips, wie man sie für die künstliche Intelligenz braucht. Also keine gewöhnlichen, wie sie in Mikrowellen, Autos oder was weiß ich verbaut sind.“

„Eine Art von Mikrochips“, griff Leo den Faden auf, „auf die zum Beispiel die Chinesen superheiß sind. Und die sie zurzeit nicht bekommen können, weil die USA das verhindern.“

„Was wir können, weil nur ganz wenige Firmen an der Herstellung dieser speziellen Chips beteiligt sind.“

Die Chinesen, für die auch der mutmaßliche Verräter in eurem Haus arbeitet.“ Er verstand, warum Joseph sich in einer Zwickmühle befand.

„Daran ist nichts Mutmaßliches“, korrigierte der FBI-Agent, der es offensichtlich sehr genau nahm. „Ich weiß nur nicht, wer es ist. Leider.“

„Und die hiesige Polizei bewertet das Verschwinden des Experten wie?“, kam Leo auf das ursprüngliche Thema zurück. Er wollte alle Fakten kennen. Außerdem konnte er sich hoffentlich ein besseres Bild von Joseph Toogood machen, wenn er dessen Gedankengänge verstand.

Sein vorläufiger Eindruck von dem Mann war … zwiespältig. Joseph Toogood wirkte wie Ende 50, war mittelgroß und hager und auf den ersten Blick durchtrainiert wie ein Langläufer. Was bei einem Mann seines Alters ein gutes Zeichen war.

Des Weiteren schien er ein Agent alter Schule zu sein, zurückhaltend und korrekt. Dafür sprachen sein militärisch kurzer Haarschnitt, der irgendwie schlammfarben graubraune Chevy Impala, den er sich als Dienstwagen ausgesucht hatte, und dass er sich strikt ans Tempolimit hielt. Der stärkste Hinweis war jedoch die Tatsache, dass er trotz der milden Außentemperatur und ausgerechnet in Hawaii einen Anzug anhatte, samt weißem Hemd und dezent gemusterter Krawatte.

Leo selbst trug ebenfalls Hose und Jackett, beides jedoch aus luftigem Leinen und Einzelteile, die zwar gut zusammenpassten, aber zwangloser wirkten als ein Anzug. Der Kragen seines eierschalenfarbenen Hemdes war offen, was bei den selbst im Spätherbst milden Temperaturen auf der Insel angenehmer war. Und was außerdem besser aussah. Von einem Schlips keine Spur.

„Die Polizei“, griff der andere Leos Frage auf, „gibt sich mit Selbstmord als Erklärung zufrieden. Man hat oben am Rand der Klippe seine Jacke mit seinen Papieren und seine Schuhe gefunden. Deshalb hat sich die junge Frau, die wir jetzt aufsuchen, an das FBI gewendet und der Vorgang ist auf meinem Schreibtisch gelandet.“

Diese „Zeugin“, wie der FBI-Agent sie bezeichnete, schien ganz schön hartnäckig zu sein. Das machte Leo neugierig.

Unterdessen fuhr Joseph Toogood fort: „Ich bin in unserer Außenstelle hier auf Oʻahu für die Gegenspionage zuständig, leite also die entsprechende Abteilung. Und wenn es keine Leiche gibt und sich jemand von diesem Kaliber einfach in Luft auflöst, macht mich das misstrauisch.“

„Nehmen wir einmal an, er ist tatsächlich nicht tot. Er könnte freiwillig untergetaucht sein“, spielte Leo den Advocatus Diaboli. „Vielleicht will er sich absetzen und die Erfindung ungestört versilbern.“

„Nichts, was ich über ihn gehört habe, spricht dafür. Aber selbst wenn, wäre es auch dann wichtig, ihn aufzuspüren, damit diese neuartige Herstellungsmethode nicht in falsche Hände gerät. Und deshalb möchte ich mit seiner wichtigsten Mitarbeiterin sprechen. Persönlich. Ich habe bisher nur heute Morgen kurz von meinem Handy aus mit ihr telefoniert, um diesen Termin auszumachen.“

Dass der andere mit ihr nicht im möglicherweise unterwanderten FBI-Büro sprechen wollte, war verständlich.

Leo zuckte die Schultern, um zu signalisieren, dass er sich mit den Erklärungen zufrieden gab. „Okay.“

Dass Joseph ihm so unbesehen zu vertrauen schien, sprach dafür, dass er sich einerseits in einer ziemlichen Zwangslage befand und dass er und Leos neue Chefin andererseits offenbar sehr gute Bekannte waren.

„Ich hoffe, unser kleiner Ausflug zum Norden der Insel ist nicht zu anstrengend für dich nach dem langen, möglicherweise strapaziösen Flug?“, erkundigte Joseph sich nun höflich. Und etwas spät, also wohl eher der Form halber, denn sie hatten Honolulu längst hinter sich gelassen.

Leo war am frühen Morgen in Miami gestartet und nach 13 Stunden gegen ein Uhr mittags Ortszeit in Honolulu eingetroffen. In Fort Worth/Dallas musste er umsteigen. Leider gab es keine Direktflüge. Aber in der ersten Klasse ließ sich das alles halbwegs ertragen. Anders flog er nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, und das respektierte man beim MI6. Ein paar tausend Dollar waren schließlich nur Peanuts in deren Gesamtbudget.

Er hatte nichts dagegen, statt sein Hotelzimmer aufzusuchen, zuerst etwas von Oahu zu sehen, der Insel, auf der sie sich befanden. Die Sonne schien, Hawaii zeigte sich von seiner besten Seite, der Fall klang interessant und was der andere sagte, war nicht unplausibel.

„Kein Problem“, antwortete er deshalb.

„Danke“, sagte Joseph. „Das meine ich ehrlich.“

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich bin selbst gespannt auf Noelani Mahelona. Sie scheint eine energische junge Dame zu sein. Und nicht zu Hysterie zu neigen. Was man bei einer Ingenieurin vermutlich auch erwarten würde.“

Er schaute ganz kurz zu Leo hinüber. „Ich bin auch an deiner Einschätzung interessiert. Menschen und ihre Psychologie sind offenbar deine Spezialität. Clarissa hat dich jedenfalls in den höchsten Tönen gelobt.“

Interessant.

Dass Joseph die Baroness mit ihrem Vornamen anredete.

Und dass diese viel von Leo hielt, war auch gut zu wissen.

Unwillkürlich wanderte sein Blick von Joseph zu der Aussicht, dann zur Decke des Chevys und wieder zurück auf die Landschaft.

Er seufzte innerlich.

Wie viel lieber würde er diese Strecke in einem schnittigen Cabrio und bei offenem Verdeck genießen. Vielleicht ließe sich das in den nächsten Tagen noch nachholen. Wenn er seinen Auftrag richtig verstanden hatte, sollte der sich einigermaßen schnell erledigen lassen.

Wie schwierig konnte es sein, einen Verräter aufzuspüren?

Er machte das schließlich nicht zum ersten Mal. Und die menschliche Psyche war, wie es schien, nach einhelliger Meinung so etwas wie seine Spezialität.

In diesem Moment bog Joseph in eine schmalere Straße ein, die ins Landesinnere führte und weniger stark befahren war. „Eine Abkürzung“, erklärte er.

Ob es noch weit war bis zu ihrem Ziel? Bei dem es sich um einen Park oder so etwas handelte, wenn Leo den anderen richtig verstanden hatte.

„Joe …”, setzte er an. „Ich kann dich doch Joe nennen?“

„Nein. So nennen mich nur meine Freunde.“ Er wollte anscheinend noch etwas hinzufügen. Vielleicht um seiner Antwort die Schärfe zu nehmen.

Doch stattdessen stieß er aus: „Was soll das denn?!“

Im selben Moment raste ein weißer Kastenwagen an ihnen vorbei.

Sehr schnell und mit ziemlich wenig Abstand.

Der Wagen setzte sich in einem waghalsigen Manöver vor sie, weil sie auf eine unübersichtliche Kurve zusteuerten.

Joseph trat auf die Bremse.

„Fu…dge“, stieß er hervor.

„Der hat es aber ganz schön eilig“, kommentierte Leo. Ihm war nicht ganz wohl beim Anblick des Wagens.

Aber warum?

 

2

Joseph Toogood fuhr langsam durch die Kurve und sah dann dem Transporter, der sie geschnitten hatte, mit gerunzelter Stirn hinterher.

„Du willst dich ja jetzt wohl nicht um einen Schnellfahrer kümmern?“, fragte Leo.

Der andere schaute unverwandt nach vorn auf die zweispurige Straße, wie es Vorschrift war. Der Mann war tatsächlich jemand, der stur jegliche Regeln einhielt. So viel hatte Leo bereits gelernt, obwohl sie sich erst seit wenigen Stunden kannten.

„Verkehrsregeln durchzusetzen, dafür ist das FBI ja wohl kaum zuständig“, fuhr Leo fort. Außerdem hatten sie Wichtigeres zu tun, wenn er Joseph glauben wollte.

Der andere schüttelte den Kopf. „Nein“, erwiderte er zögernd, „es ist nur…“

Okay. Vielleicht hatte Joseph doch mehr auf dem Kasten, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.

„Stimmt. Es ist merkwürdig, dass hier noch jemand unterwegs ist und auch noch so schnell“, fiel Leo ihm ins Wort, weil der andere für seinen Geschmack zu langsam und bedächtig sprach.

Das andere Fahrzeug war inzwischen aus ihrem Blickfeld verschwunden.

„Eben. Die Gegend hier ist an sich ziemlich verlassen.“ Pause. „Hast du dir die letzten beiden Ziffern des Kennzeichens merken können? “

Joseph fischte einen Bluetooth-Ohrstöpsel aus seiner Jackentasche und schob ihn sich ins Ohr. Sein Handy steckte in einer Halterung am Armaturenbrett. Er tippte eine Kurzwahltaste.

„68“, beantwortete Leo die Frage. Sich solche Dinge zu merken, ging bei ihm ganz automatisch. Er hätte Joseph auch das gesamte Kennzeichen nennen können.

Der nickte zustimmend. Er hatte wohl nur sozusagen auf Nummer sicher gehen wollen. Oder er wollte Leo unauffällig testen.

Jemand musste sich am anderen Ende gemeldet haben, denn Joseph identifizierte sich als FBI-Agent und bat um eine Halterüberprüfung für einen weißen Ford-Kleintransporter der E-Serie mit dem Kennzeichen, das er anschließend fehlerfrei durchgab.

„Das war eine Kontaktperson im HPD, der Polizeibehörde von Honolulu“, erklärte er Leo, nachdem er das Gespräch beendet hatte.

Den Stöpsel ließ er im Ohr. Er erwartete wohl, dass die Polizeidienststelle schnell mit der gewünschten Information zurückrufen würde.

In diesem Moment wurde Leo erst so richtig bewusst, dass er zum ersten Mal in seinem Leben eng mit der Polizei zusammenarbeiten würde. Für jemanden wie ihn, der sich „hauptberuflich“ als Betrüger betätigte, war das ein unangenehmes Gefühl.

Für Geheimdienste wie den MI6, für den er ab und an, so wie jetzt, freiberuflich arbeitete, galt das nicht, denn sie bewegten sich oft selbst am Rande der Legalität. Oder sogar außerhalb davon.

Natürlich erfüllte das FBI auch Geheimdienst-Funktionen in den USA, nämlich die der Spionageabwehr. Und doch war das etwas anderes. Man musste sich nur Joseph Toogood anschauen. Schwer vorstellbar, dass der sich nicht an Recht und Gesetz halten würde.

War dieser Auftrag irgendeine Art von Test, mit dem die neue Chefin des MI6 ihm, dem aus offizieller Sicht Kriminellen, auf den Zahn fühlen wollte?

Genau da meldete sich sein spezielles, abhörsicheres Handy. Wenn man vom Teufel sprach beziehungsweise an die Teufelin dachte.

Doch Leo lehnte den Anruf mit einem Knopfdruck ab. Jetzt war keine Zeit für eine Plauderei mit der Baroness.

 

3

Leos neuestes Abenteuer hatte harmlos genug angefangen.

„Ich habe einen kleinen Auftrag für dich, mein Lieber“, hatte die neue Chefin des MI6 gesagt.

Baroness Clarissa Hall of Dingham hatte ihr neues Amt vor nicht allzu langer Zeit angetreten, nachdem ihr Vorgänger ganz plötzlich seinen Hut nehmen musste. Etwas, woran Leo nicht ganz unbeteiligt gewesen war.

„Im Grunde ist es beinahe ein Urlaub“, fuhr sie fort.

„Und wo soll ich diesen ‚Urlaub‘ verbringen?“, fragte Leo misstrauisch.

Die Baroness hatte ihn in Miami erreicht, einem seiner bevorzugten Aufenthaltsorte.

Speziell in der dunklen Jahreszeit, wie jetzt im November, war er lieber irgendwo, wo die Sonne schien.

„Hawaii“, antwortete sie, wobei ihre Augen amüsiert glitzerten.

Das konnte Leo sehen, weil sie ihr Gespräch über eine Video-Verbindung führten. Die natürlich verschlüsselt war, wie bei einem Geheimdienst wie dem MI6 nicht anders zu erwarten.

Leo saß dabei in seinem komfortablen Hotelzimmer. Die Baroness dagegen hielt sich, nach dem zu urteilen, was Leo auf dem Bildausschnitt sehen konnte, zu Hause auf. Oder zumindest nicht in ihrem Büro im Gebäude des MI6.

Das ergab Sinn. Schließlich war es in Miami kurz vor zehn Uhr am Samstagmorgen. Also früher Samstagnachmittag in London. Wobei Leo auffiel, dass er keine Ahnung hatte, wo und wie die Baroness wohnte. Etwas, das er bald einmal ändern sollte. Denn er wusste gerne über die Menschen Bescheid, mit denen er zu tun hatte.

Seine Neugier war geweckt. Doch als habe sie das geahnt, hatte seine neue Chefin sich so dicht vor der Kamera platziert, dass ihr Gesicht fast den gesamten Bildschirm ausfüllte.

Hinter ihr glaubte er, gediegene, gut bestückte Bücherregale zu sehen. Aber vielleicht war das auch nur ein virtueller Hintergrund. Zuzutrauen wäre es ihr.

Was hatte sie gesagt? Hawaii? Das war in der Tat durchaus akzeptabel.

Sie musste Zustimmung in seinen Augen gelesen haben, denn sie fuhr fort: „Habe ich mir gedacht, dass dir das gefällt. Es ist nichts Kompliziertes, sondern für den Anfang etwas, das ganz deine Kragenweite sein sollte.“

„Für den Anfang“. Damit wollte sie wohl andeuten, dass dies der erste Auftrag war, den Leo für sie erledigen sollte. Und möglicherweise der letzte?

Wollte sie ihn testen?

Dazu gab es nichts zu sagen. Deshalb wartete er ab und schwieg.

Die Baroness beugte sich ein wenig vor, sodass er ihre neue Frisur noch besser bestaunen konnte. Die altmodische betonartige Dauerwelle, die noch vor Kurzem ihr Erscheinungsbild geprägt hatte, war einem flotten Kurzhaarschnitt gewichen – durchzogen von dezenten blonden Strähnchen und mit Sicherheit sündhaft teuer. Wie es sich für eine Frau gehörte, die die Karriereleiter bis ganz nach oben erklommen hatte.

„Es geht um Folgendes“, sagte sie und sah ihn durch die Kamera eindringlich an. „Du sollst einem guten Bekannten von mir, der in Honolulu für das FBI arbeitet, helfen, einen Verräter zu entlarven, der möglicherweise für die Chinesen spioniert.“

Okayyy?

„Vielleicht täusche ich mich“, sagte Leo langsam. „Aber arbeitet der MI5 als britischer Inlandsgeheimdienst nicht gewöhnlich mit dem FBI zusammen, das unter anderem in etwa dieselbe Rolle in den USA übernimmt? Und der MI6 mit der CIA, weil die beide jeweils im Ausland agieren?“

„Zerbrich dir darüber nicht dein hübsches Köpfchen.“ Ihr Grinsen verriet, dass das ironisch gemeint war. Vielleicht sogar als eine Umkehr althergebrachter Rollenklischees aus Filmen des vorigen Jahrhunderts.

„Die USA sind für uns Ausland. Das passt also. Und wie du ganz richtig sagst, arbeiten unsere Behörden auf vielen Ebenen eng mit unseren amerikanischen Vettern zusammen, sodass es uns nicht egal sein kann, wenn das FBI unterwandert wird. Und Joseph ist ein guter Mann. Ich vertraue ihm.“

Ein hohes und, wie Leo sie einschätzte, seltenes Lob.

„Also, wie sieht es aus? Wie ich höre, ist deine neue Freundin anderweitig beschäftigt. Da ist in deinem Terminkalender vermutlich Platz, oder?“

Letzteres wusste sie höchstwahrscheinlich bereits ganz genau. Leo war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass der MI6 sich so sehr für seine Angelegenheiten interessierte.

Aber es war, wie es war.

Und für den Geheimdienst zu arbeiten, freiberuflich selbstverständlich, verschaffte ihm nicht unerhebliche Vorteile. Selbst einem Betrüger der Meisterklasse konnte es bei aller Vorsicht passieren, dass er in das Fadenkreuz irgendwelcher Gesetzeshüter geriet. Da war es hilfreich, wenn ein auch international einflussreicher Geheimdienst wie der MI6 seine schützende Hand über ihn hielt. Ein weiteres Plus: Hin und wieder fiel ein falscher Pass, beziehungsweise ein echter mit einem falschen Namen, und Ähnliches für Leo ab, das sich in seinem eigentlichen Beruf als nützlich erwies.

Es war ein Spiel mit dem Feuer. Nicht ungefährlich, aber aufregend. Und letztlich für beide Seiten von Vorteil.

Die Baroness hatte außerdem recht. Cori, die neue Frau in Leos Leben – und was für eine –, hatte sich vor Kurzem aufgemacht, um einer Freundin in Russland aus der Patsche zu helfen.

Moskau (bei dem Gedanken fröstelte es ihn regelrecht) oder Hawaii? Es war offensichtlich, wer von ihnen beiden das große Los gezogen hatte. Wobei Cori eine Leo unerklärliche Vorliebe für das größte Land der Welt hatte, das nach seiner Ansicht gleichzeitig eines der trostlosesten war.

„Also gut“, sagte Leo. „Dann mache ich mich mal auf nach Hawaii.“

„Bei Hawaii muss ich immer an Molokai denken“, sagte die Chefin des MI6 träumerisch.

„Eine besonders schöne, wenig touristische Insel. Für hawaiianische Verhältnisse.“ Jetzt klang sie fast wie ein Reiseführer oder ein Werbeprospekt.

Sie lächelte beseelt und vielleicht auch ein wenig ironisch. „Bertie und ich haben dort seinerzeit einige unvergessliche Tage verbracht.“

Bertie, mit vollem Namen Albert Hannover, war der rätselhafte Begleiter der Baroness, der immer in ihrer Nähe zu sein schien, wenn Leo sie sah. Wie ein persönlicher Assistent. Und ein Mann, mit dem sie offensichtlich auch privat so einiges verband.

Leo hatte vor Kurzem selbst miterlebt, dass dieser Bertie ein absolut ausgeschlafener Typ war. Trotz seines Alters oder gerade deswegen verfügte er über jede Menge Kenntnisse, zum Beispiel im Hinblick auf den Umgang mit Sprengstoff.

Zeit, das Gespräch zu seinem Auftrag zurückzubringen. „Aber ich begebe mich nach Oahu, oder?“

Hatte sie nicht von Honolulu gesprochen? Das befand sich das letzte Mal, als Leo in Hawaii war, auf dieser Insel, auf der auch mit Abstand die meisten Menschen wohnten.

Die Baroness zog die Augenbrauen hoch. „Hatte ich das nicht bereits gesagt? Zur dortigen FBI-Außenstelle. Mein Freund Joseph Toogood ist der stellvertretende Leiter.“

Sie musste gesehen haben, wie Leos Mundwinkel bei der Erwähnung des Nachnamens gezuckt hatte. „Und er kennt bereits alle Witze über seinen Namen, wie er mir schon vor Jahren versichert hat.“

„Zurück zu Molokai.“ Offensichtlich wollte sie Leo klarmachen, dass sie es war, die bestimmte, wann sie worüber sprachen.

„Das nichts mit deinem Auftrag zu tun hat. Aber ich bin die Chefin in diesem Laden und kann folglich bestimmen, wie wir unsere Missionen bezeichnen.“

Sie lächelte maliziös. „Und diese bekommt hiermit den Namen Molokai.“

Es sollte anscheinend wie ein spontaner Gedanke wirken. Doch das verfing bei Leo nicht. Was auch immer diese Frau sagte oder tat, sie hatte es sich gut überlegt.

„Mission Molokai. Roger“, bestätigte Leo.

Ihm war das letztlich egal, denn er käme wohl nicht in die Verlegenheit, die Bezeichnung der Mission verwenden zu müssen. Durch seine inoffizielle Rolle blieb er zum Glück davon verschont, irgendwelche Berichte schreiben zu müssen.

Und hier war er nun.

Auf Oahu.

Mit Joseph Toogood.

 

4

„Gestohlen?“, fragte Joseph die Person, die ihn gerade zurückgerufen hatte.

Das Wort riss Leo aus seinen Gedanken.

Wie sich herausstellte, war der Transporter, der kurz zuvor an ihnen vorbeigerast war, am Morgen als gestohlen gemeldet worden.

„Das gefällt mir nicht“, sagte Leo.

Der andere schaute ihn fragend an. „Um Geschwindigkeitssünder soll ich mich nicht kümmern, aber ein gestohlenes Auto bereitet dir Sorgen?“

„Wo könnten sie hier denn hinwollen mit einem gestohlenen Wagen? Wir befinden uns schließlich auf einer Insel und weiter nach Norden kommt doch kein größerer Ort mehr.“

„Vielleicht sind es Jugendliche, die eine Spritztour machen.“

„Vielleicht“, wiederholte Leo zweifelnd.

„Aber du glaubst, dass jemand den Wagen gestohlen hat, weil sich die eigene Identität so leichter verschleiern lässt, als wenn man ein Auto mietet?“

„Genau. Warum haben es diese Typen so eilig? Du solltest lieber Gas geben.”

„Hier sind nur 50 Meilen pro Stunde erlaubt“, erwiderte Joseph. Doch er wirkte nun ebenfalls besorgt.

Unwillkürlich gab Leo mit dem rechten Fuß Gas oder versuchte es zumindest. Denn er war ja nur der Beifahrer. „Vielleicht sollten wir uns trotzdem etwas beeilen“, presste er zwischen den Zähnen hervor.

„Es ist niemandem gedient, wenn wir im Straßengraben landen“, entgegnete der andere.

„Ich hätte erwartet, dass man beim FBI Autofahren lernt.“

Der MI6 hatte selbst Leo, der nur ab und an für den Geheimdienst tätig war, auf dessen Wunsch hin in allem Möglichen ausgebildet. Im Umgang mit Schusswaffen, im Fliegen von Hubschraubern und kleineren Flugzeugen und auch in speziellen Fahrtechniken. Ein weiterer Bonus seiner Tätigkeit im Dienste des Vaterlandes.

Verdammt! Special Agent Joseph Toogood fuhr so altväterlich, wie er aussah.

„Was, wenn die Typen auf dem Weg zu deiner Zeugin sind? Du hast es immerhin sehr eilig, mit ihr zu sprechen. An einem Sonntag. Und obwohl dein Chef es verboten hat. Wie du mir selbst gesagt hast.“

„Nicht verboten. Er wollte nur nicht, dass ich weiter ermittle. Weil der Fall seiner Meinung nach klar ist.“

„Das kommt doch auf dasselbe raus.“

„Dass sie Frau Mahelona etwas antun wollen, ist ja wohl mehr als unwahrscheinlich.“

Dass er „antun“ sagte, was Leo so explizit nicht ausgesprochen hatte, verriet, dass Joseph nun ebenfalls beunruhigt war. Ebenso wie die Tatsache, dass er die erlaubte Geschwindigkeit voll ausreizte. Selbst, so weit möglich, in den Kurven. Das Fahrmanöver, mit dem er in diesem Moment einen Mopedfahrer überholte, war auch nicht gerade defensiv.

„Unwahrscheinlich? Glaubst du wirklich? Schon mal was von Murphy’s Law gehört?“

„Sicher. Es bedeutet: …“, begann Joseph.

„Sh…oot“, sagte er und trat aufs Gaspedal. Das winzige Zögern, mit dem der andere den Fluch stoppte und durch ein harmloses Wort ersetzte, wäre den meisten wohl nicht aufgefallen. Leo schon.

Weil er sofort nach Hawaii geflogen war, konnte er keine eigenen Nachforschungen anstellen und wusste über Joseph Toogood nur, was die Baroness ihm über den Mann erzählt hatte. Das war nicht viel, aber doch aufschlussreich.

„Ach ja, eines solltest du noch wissen. Joseph ist praktizierender Mormone“, hatte die Baroness ergänzt, nachdem sie Leo seinen Auftrag erteilt hatte.

Das erklärte wohl den eines erwachsenen Mannes normalerweise unwürdigen Versuch, einen Fluch zu vermeiden, indem er in letzter Sekunde von „Shit“ zu „Shoot“ umschwenkte. Oder wie vor einigen Minuten von „Fuck“ zu „Fudge“.

„Wie weit ist es noch?“, fragte Leo beunruhigt.

„Bis zum botanischen Garten? Keine fünf Minuten.“

Die Worte „botanischer Garten“ weckten in Leo schlimme Vorahnungen.

Aber nein. Genau genommen waren es keine Vorahnungen, sondern vielmehr eine Erinnerung an etwas, das vor nicht allzu langer Zeit in einem anderen botanischen Garten so furchtbar schiefgegangen war.

Leo wusste natürlich, dass seine gefühlsmäßige Reaktion in der jetzigen Situation unbegründet war.

Trotzdem fiel es ihm schwer, sie zu unterdrücken.

Und dann war da noch Murphy‘s Law: Anything that can go wrong will go wrong.

Er hatte ja noch nicht einmal damit begonnen, seinen Auftrag in Angriff zu nehmen.

Da hoffte er wirklich, dass nicht alles, was schieflaufen könnte, das auch tun würde.

***

Neugierig, wie’s weitergeht? Hier geht’s zum Buch.

Hörbuch mit KI?

Mit elevenlabs kann man Text in eine Hördatei umwandeln. Gesprochen von einer Künstlichen Intelligenz und auch auf Deutsch. Ich habe das mal mit dem Anfang von Kein Grab so tief getestet.

Hört es euch einfach mal an.

Natürlich ist die Qualität nicht mit der von einer menschlichen Sprecherin vergleichbar. Aber doch viel besser, als ich erwartet hatte.

Warum ist das für mich interessant? Weil eine Menge Menschen Bücher lieber hören als lesen, Hörbücher jedoch für eine “kleine” Selfpublisherin wie mich praktisch nicht finanzbierbar sind.

Eines meiner Bücher liegt bisher als Hörbuch vor: Fluchtpunkt Karatschi, das Jan Terstiege, wie ich finde, ganz wunderbar eingesprochen hat. Es wurde von Audio4You produziert. Bei diesem Modell teilen sich der Sprecher und die Autorin die Einnahmen, die nach Abzug der anderen Kosten übrig bleiben. Leider verkauft sich Fluchtpunkt Karatschi als Hörbuch praktisch gar nicht, was speziell für Jan schade ist, der als Sprecher eine Menge Zeit und Mühe investiert hat.

Warum gibt es so wenig Interessenten? Vielleicht, weil es das einzige meiner Bücher ist, das so vorliegt, und Hörer:innen nur Zeit und Geld investieren mögen, wenn sie von einer Autorin mehrere Hörbücher bekommen können?

Jedenfalls ist dies also für mich kein gangbarer Weg. Hörbücher, die ich mit KI produzieren kann, aber mittelfristig vielleicht schon, denn da sind die Kosten viel niedriger.

Was meint ihr? Würdet ihr ein auf diese Weise entstandenes Buch anhören, wenn es nur diese Version gibt? Und damit meine ich speziell die Audiobook-Hörer und -Hörerinnen unter euch. Lasst es mich gerne wissen. Auf Social Media oder per Mail an igkrimis [at] gmail.com

Operation Asilah, die ersten drei Kapitel des neuen Leo-Rivenhall-Thrillers

Demnächst erscheint Operation Asilah, der 2. Leo-Rivenhall-Thriller. Hier könnt ihr schon einmal die ersten drei Kapitel lesen. (Das fertige Buch weicht eventuell an einigen Stellen geringfügig von diesem Text ab. Und ist natürlich besser gesetzt.)

1

Leo Rivenhall hatte sich seinen neuesten Einsatz für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 romantischer vorgestellt. Und weniger öde und schweißtreibend.
Seit einer geschlagenen halben Stunde hockte er nun bereits in dem von einer Mauer umgebenen Garten hinter einem ausladenden Jasminstrauch und beobachtete in der nächtlichen Stille die Villa, die nur vom Licht des Mondes und der Sterne beleuchtet wurde.
Er wollte absolut sicher sein, dass sich dort nichts und niemand regte, bevor er den nächsten Schritt wagte. Nämlich durch eine Seitentür in das Gebäude einzubrechen.
Die Fenster fielen aus, denn die waren samt und sonders vergittert, und das nicht nur im Erdgeschoss. Wenigstens ließ sich hinter keinem von ihnen Licht wahrnehmen. Abgesehen von zweien in der Nähe des Haupteingangs, wo sich die Wachen aufhielten. Das wusste er, weil er die Villa zweimal vorsichtig umrundet hatte, um sich einen Überblick zu verschaffen, direkt nachdem er von dem unbebauten Grundstück auf der einen Seite des Geländes über die Mauer in den Garten vorgedrungen war.
Ein Umstand half ihm bei seiner heutigen Aktion: So wie das gesamte Land war auch sein Zielobjekt, dieses Gebäude, eher darauf ausgerichtet, dass man nicht heraus- und nicht, wie sonst oft der Fall, nicht hineinkam.
Dafür sprachen einige Anzeichen, die vermutlich nur jemandem wie Leo auffielen. Zum Beispiel waren die Überwachungskameras so angebracht, dass sie Personen zeigten, die das Haus verließen, jedoch nicht, oder zumindest nicht lückenlos, ob jemand über die hohe Mauer in den Garten eindrang. Die Bewohner gingen vermutlich zu Recht davon aus, dass es niemand wagen würde, bei ihnen einzubrechen. Leo war die Ausnahme, die diese Regel bestätigte.
Das Haus selbst, eine prächtige, sichtlich neue Villa im Stil eines hochklassigen italienischen Landhauses, nur zwei bis drei Nummern größer, hätte irgendwo auf der Welt stehen können: in London, in Miami, in Sydney. Überall, wo jemand mit mehr als genug Geld sich einen solchen Kasten hinstellen konnte. Allenfalls die Vegetation im Garten, etwa die Palmen, deutete darauf hin, dass er sich nicht in Stockholm oder Berlin befand. Sondern in der Nähe von Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.
Die Blüten des Jasmins dufteten betörend und er musste an die Märchen aus 1001 und einer Nacht denken. Doch er durfte sich nicht ablenken lassen.
Es war nicht nur die Anspannung, die ihn ins Schwitzen brachte. Selbst im März und um fast drei Uhr nachts war es in den Vereinigten Arabischen Emiraten ziemlich warm. Tagsüber wurde es schon beinahe zu heiß für seinen Geschmack. Möglicherweise machte sich wieder einmal die Klimakrise bemerkbar. Vielleicht wurde ihm auch wegen seiner Kleidung heiß, der langen schwarzen Hose und dem langärmligen schwarzen Rollkragen-Shirt. Ganz zu schweigen von der Balaklava, die nur seine Augen frei ließ.
Dummerweise staute sich die Wärme hinter seiner Maskierung so sehr, dass die Haut unter seinen Bartstoppeln zu jucken begann. Er war lieber glatt rasiert. Aber in dieser Gegend der Welt war es einfacher, als Einheimischer durchzugehen, wenn man sich einen Vollbart wachsen ließ, womit er vor mehr als drei Wochen begonnen hatte, und diesen sorgfältig auf eine recht kurze Länge trimmte. Zusätzlich hatte er sein Haar zwei Tage vor dem Abflug von einer Coloristin beim Friseur seines Vertrauens färben lassen. Das Schwarz war nur wenig dunkler als seine natürliche Haarfarbe, sodass der Unterschied am Haaransatz speziell in den ersten Wochen kaum auffallen sollte. Sein Bartwuchs war zum Glück von allein dunkel genug.
Bei einem Einsatz wie diesem zählte jedes Detail und es könnte von Vorteil sein, sich im Falle eines Falles als jemand anderes ausgeben zu können.
Wenigstens die Kontaktlinsen, die er trug, um seine Augenfarbe zu verändern, störten ihn nicht. Mit braunen Augen fiel er in diesem Land weniger auf als mit blauen.
Leo Rivenhall löste sich aus dem Schatten des Jasmins und huschte geduckt auf das Haus zu. Er durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate, kurz: VAE, waren dafür bekannt, dass sie mit Straftätern, echten oder angeblichen, nicht zimperlich umgingen. „Demokratie“, „Rechtsstaat“ und Ähnliches waren hier Fremdwörter.
Als Leo eine Palme auf halbem Weg zum Haus erreichte, richtete er sich auf. Er war bereits zum dritten Mal in dieser Gegend, in der Wohnstätten für die Superreichen erbaut worden waren. Zweimal hatte er die Villa und ihre Umgebung bei Tag ausgekundschaftet, einmal als ein Tourist, der sich verfahren hatte, einmal als Fahrer, der etwas abliefern wollte. Dabei hatte er sich auch gemerkt, wo Überwachungskameras angebracht waren. Außerdem hatte er mit Bediensteten gesprochen, Männern und Frauen aus Bangladesch und den Philippinen. Diese und andere Länder Süd- und Südostasiens stellten den größten Teil der Arbeitskräfte in dem Land und damit der Menschen, die in den VAE lebten.
Ein Rascheln im Gras ließ ihn zusammenzucken. Reglos verharrte er, dicht an den Stamm der großen Palme geschmiegt, in der Hoffnung, dass sein Umriss in der Dunkelheit mit dem des Baums verschmolz. In seiner Brust konnte er seinen Herzschlag fühlen, der beruhigend gleichmäßig blieb.
Er ließ seinen Blick schweifen. Nichts. Vermutlich irgendein Tier.
Hätte er ein Nachtsichtgerät mitbringen sollen? Vielleicht. Doch je weniger er mit sich herumschleppte, desto unauffälliger konnte er sich bewegen.

2

Leos Ziel, der Seiteneingang, der – vermutlich aus der Küche heraus – zu einer Art Kräutergarten führte, schien unbewacht zu sein, wenn man von der Kamera absah, die über dem Türrahmen angebracht war.
Sollte er es wagen? Sich in der Villa umsehen, soweit das unentdeckt möglich war?
Er vermied den kiesbestreuten Weg zur Tür und bewegte sich parallel dazu geduckt im Schatten einiger Büsche, an denen vielleicht einmal irgendwelche Beeren wachsen würden, auf die Seitentür zu. So wäre er auf den Bildern der Überwachungskamera, die auf den Weg gerichtet war, nicht wahrzunehmen.
Er verharrte kurz, um sicherzugehen, dass sich nicht irgendwo einer der Wachmänner für eine Zigarettenpause im Garten aufhielt und ihn entdecken würde, wenn er sich der Tür näherte.
Alles war still und verlassen.
Immer noch parallel zu dem Kiesweg umrundete er ein von einer niedrigen, achteckigen Mauer umgebenes „Wasserelement“, ein Zwischending zwischen Teich und Brunnen, das zu groß und auffällig war, um sich, auch noch in einem Küchengarten, in die Umgebung einzupassen.
Geschmack war nicht die Stärke des Hausbesitzers. Das hatten Leo schon seine Erkundungen bei Tageslicht verraten. Der Garten zum Beispiel war aus allen möglichen Elementen und Pflanzen zusammengestückelt, ohne klare Linie, ohne ein einheitliches Design.
Leo hielt weiterhin Abstand, denn das Mäuerchen um den ausladenden Brunnen zierten zahlreiche Blumentöpfe mit üppigen Pflanzen. Die hätten ihm zwar vor der Kamera Deckung geboten, doch es hätte ihm gerade noch gefehlt, dass er aus Unachtsamkeit gegen einen davon stieß und ihn laut platschend ins Wasser oder, eine Kettenreaktion auslösend, gegen den nächsten kippte. Das ganze Arrangement wirkte überladen und machte keinen stabilen Eindruck.
Die Wachen, die sich im Inneren des Hauses beim Haupteingang aufhielten, waren, so sein Eindruck, möglicherweise nicht besonders kompetent, aber vermutlich nicht taub.
Im nächsten Moment hatte er das Hindernis umrundet. Mit einigen wenigen Schritten näherte er sich seinem Ziel, dem Nebeneingang, von der Seite her. Die Tür selbst und der Bereich unmittelbar davor wurden von der darüber angebrachten Kamera nicht erfasst.
Wer auch immer die Sicherheitsmaßnahmen für die Villa arrangiert hatte, war ein Stümper und hatte nicht damit gerechnet, dass er es mit einem Profi wie Leo zu tun bekommen könnte.
Da er sich hätte verrenken müssen, um das Licht des Mondes nicht zu blockieren, beleuchtete er das Türschloss mit einer kleinen Taschenlampe, die er im Mund hielt.
Auf den ersten Blick sah das Set von Dietrichen, das er dabeihatte, aus wie ein Taschenmesser, doch statt Klingen und Korkenzieher ließen sich verschiedene Werkzeuge ausklappen oder herausziehen, mit denen er auch anspruchsvolle Schlösser öffnen konnte. Es war ein Geschenk seines Auftraggebers, des Geheimdienstes MI6, und von erheblich besserer Qualität als ähnliche Gerätschaften, die man irgendwo kaufen konnte.
Im Nu hatte er das Schloss mithilfe je eines passenden Spanners und Hakens geöffnet. Schnell steckte er das Lockpicking-Werkzeug zusammengeklappt zurück in seine hintere Hosentasche.
Ganz langsam drückte er die Tür nach innen auf. Die Scharniere waren offensichtlich gut geölt, denn sie gaben keinen Laut von sich. Erleichtert atmete Leo durch.
Während er auf leisen Sohlen die Küche betrat, ließ er den Schein der kleinen, aber lichtstarken Taschenlampe über das Innere des großen Raumes gleiten.
Drei Kühl- oder Gefrierschränke, die fast bis zur Decke reichten, fielen ihm zuerst ins Auge. Einer besaß eine durchsichtige Tür und war offensichtlich Getränken vorbehalten.
Neben einem der beiden Herde waren zwei große gusseiserne Pfannen, ein Schneidebrett und einiges mehr abgestellt. Möglicherweise für die Zubereitung des Frühstücks am nächsten Morgen. Außerdem sah er verschiedene geschlossene Schränke. Über einem großen Tisch in der Mitte der Küche hingen an zwei parallelen Stangen einige kleinere Pfannen, Kellen und andere Utensilien.
Ein massiver Holztisch statt einer geschlossenen Insel im Zentrum des Raums? Irgendjemand hatte sich offenbar das Thema „italienisches Landhaus“ beim Designen der Küche zu Herzen genommen.
Auf dem Tisch war ordentlich allerhand Geschirr platziert, Teller, Tassen und Ähnliches und lose mit Geschirrtüchern abgedeckt. Vermutlich als Vorbereitung für den nächsten Morgen.
Leo knipste die Taschenlampe aus, denn er wusste nicht, was oder wer ihn hinter der Tür auf der gegenüberliegenden Seite erwartete. Er ließ einige Sekunden verstreichen, bis seine Augen sich an die relative Dunkelheit gewöhnt hatten. Denn tatsächlich schien der zunehmende Mond durch die Fenster zum Garten in den Raum, sodass Leo auch ohne eine zusätzliche Lichtquelle zumindest Umrisse gut erkennen konnte.
Er streckte die Hand nach der Türklinke aus …
… da spürte er etwas hinter sich. Einen Luftzug, eine Bewegung.
Instinktiv duckte er sich zur Seite weg und drehte sich dabei gleichzeitig um.
Etwas Massives (eine Pfanne?) sauste haarscharf an seinem Kopf vorbei.
Blitzschnell machte er einen Schritt aus der Gefahrenzone heraus und richtete sich zu einem sicheren Stand auf.
Direkt gegenüber von ihm holte jemand erneut aus. Jemand, der stark sein musste, denn er hielt die massive Pfanne mit einer Hand. Jemand, der wie er ganz in Schwarz gekleidet war und eine dunkle Sturmhaube trug. Der etwa so groß war wie er selbst und von ähnlicher Statur.
Im ersten Moment hatte Leo das gespenstische Gefühl, in einen Spiegel zu schauen.
Dieser Eindruck verflog allerdings, sobald er versuchte, seinem Gegner die Pfanne zu entwinden. Er machte einen Schritt auf den anderen zu, sodass er ihn bedrängte, drehte sich etwas in ihn hinein und griff mit seiner Rechten nach dem Handgelenk des Angreifers und mit seiner Linken nach dem Pfannenstiel.
Das Handgelenk war irritierend dünn, beinahe zierlich. Während er es fester packte, hörte er ein empörtes Japsen in einer unerwartet hohen Tonlage.
Leos rechter Arm berührte den Gegner an dessen Brust.
Die weich nachgab. Wie … eine weibliche Brust?
Was?
Sein Gegner war … eine Frau?!

3

Wer war diese Frau? Was wollte sie hier?
Einbrechen. Na klar. Sie hatte das Gebäude durch die von Leo aufgeschlossene Tür betreten.
Aber um was zu tun? Um irgendwelche Wertgegenstände zu stehlen?
Für weitere Spekulationen blieb ihm keine Zeit. Er hatte die Pfanne leise auf dem großen Tisch in der Mitte der Küche abgestellt und nun alle Hände voll damit zu tun, die Attacken seiner Gegnerin abzuwehren.
Und zwar leise, damit sie keine Aufmerksamkeit erregten.
Immerhin waren mindestens zwei Wachen im Haus, wenn auch vermutlich weiter weg, in der Nähe der Eingangstür.
Wenigstens besaß seine Gegnerin so viel Verstand, ebenfalls keinen Laut von sich zu geben.
Oder doch nicht? Was zischte sie da auf Arabisch, während sie nach ihm trat und versuchte, ihm Fausthiebe und Handkantenschläge zu versetzen?
Es klang wie: „Verschwinde, du Hund. Hau ab.“
Er bekam ihren rechten Unterarm zu fassen. Sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu lösen und gleichzeitig, mit ihrer linken Faust seinen Solarplexus zu treffen.
Verbissen rangen sie miteinander.
Denn Leo dachte nicht daran, sich aus dem Staub zu machen, ebenso wenig wie offenbar die Unbekannte. Er musste verhindern, dass sie entdeckt wurde, und sie durfte auch keinen Diebstahl begehen. Denn dann würden die Sicherheitsmaßnahmen im Haus und in dessen Umgebung wahrscheinlich verschärft.
Verdammt. Bis jetzt war es ihm durch geschicktes Ausweichen gelungen, zu vermeiden, dass sie mit ihrem Knie seine edelsten Körperteile erreichte. Doch dafür hatte sie ihm jetzt einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein versetzt. Trug sie Stiefel mit Stahlkappen?
Sie waren etwa gleich groß. Zwar war Leo stärker als die Frau, weshalb er ihr letztlich die Pfanne hatte abnehmen können, doch seine Gegnerin versuchte, eine Reihe mieser Tricks anzuwenden. Sie war offensichtlich geübt in dem, was man gemeinhin als „Straßenkampf“ bezeichnete.
Leise und verbissen versuchten sie, verschiedene Attacken anzuwenden beziehungsweise abzuwehren. Einzig ein leises, angestrengtes Keuchen war von beiden zu hören.
Plötzlich änderte die Fremde ihre Taktik. Mit ihrer inzwischen wieder freien rechten Hand griff sie nach hinten, zu ihrem Rücken. Vermutlich trug sie dort eine Pistole oder, was wahrscheinlicher, aber nicht weniger gefährlich war: ein Messer.
Leo selbst war unbewaffnet.
Jegliche Vorsicht missachtend, stieß er seine Gegnerin mit aller Kraft gegen die Tischkante, sodass ihre Hand hinter ihrem Rücken eingeklemmt wurde.
Doch er hatte zu viel Kraft eingesetzt. Denn der gesamte Tisch setzte sich in Bewegung, was nicht geräuschlos vor sich ging.
Zwar glitten die hölzernen Beine relativ leise über den gefliesten Boden. Aber das Geschirr auf dem Tisch begann zu klappern und ein hoher Stapel Teller, der neben der Frau stand, geriet bedenklich ins Wanken.
Leo blieb aber auch nichts erspart.
Er musste seine Gegnerin loslassen, um die aufgestapelten Teller mit beiden Händen festzuhalten. Zum Glück trug er Handschuhe, sodass er keine Fingerabdrücke hinterlassen würde.
Um ein Haar hätte er mit seiner hektischen Bewegung eine der Kellen, die an einer Stange über dem Tisch in Reichweite baumelten, heruntergeschlagen. Es fehlten nur wenige Millimeter.
Doch ihm blieb keine Zeit zum Aufatmen.
Denn in seinem verzweifelten Versuch, die Teller zu stabilisieren, hatte er seine Gegnerin zu Seite gestoßen.
Die wollte sich auf dem Tisch abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, holte blindlings mit einer Hand aus und kippte zwei Gläser um.
Die wie in Zeitlupe auf die Tischkante zurollten.
Weit außerhalb von Leos Reichweite.
Der Schwerkraft folgend fielen die beiden Gläser.
Leo sah sie bereits auf dem Küchenboden zerschellen.
Da fing die Unbekannte sie in letzter Sekunde geschickt mit beiden Händen auf.
Das war knapp.
Sie arbeiteten – in dieser Hinsicht – zusammen wie ein eingespieltes Team. Es war weder im Interesse der Unbekannten noch in dem von Leo, dass jemand im Haus auf sie aufmerksam wurde.
Die Waffe, die seine Gegnerin mutmaßlich hatte ziehen wollen, schien vergessen.
Wie eine Verrückte stürzte sie sich nun auf Leo und versuchte, ihn an seinen Oberarmen zu packen. Was ihr nur bei einem gelang.
An dem sie mit aller Gewalt zog. Anscheinend wollte sie Leo um den Tisch herum und durch die Tür in den Garten bugsieren.
Wobei sie voll unterdrückter Wut etwas auf Arabisch zischte, das klang wie: „Hau endlich ab!“
Was Leo mehr ihrem Tonfall und dem, was sie tat, entnahm, als dass er es tatsächlich verstand. Denn natürlich sprach sie sehr leise.
Und dann, in diesem Moment, in dem sie beide abgelenkt waren, passierte es.
Die Frau, die sich rückwärts bewegte, stolperte über etwas.
Ein lauter Schrei war zu hören, der in ein Fauchen überging. Wie von … einer Katze?
Eine Streunerin zweifellos, denn Leo hatte bei seinen Erkundungen keine Hinweise auf Haustiere entdeckt.
Abrupt kehrte seine Aufmerksamkeit zu seiner Gegnerin zurück.
Dadurch, dass sie heftig zurücktaumelte und, um nicht den Halt zu verlieren, noch stärker an seinem Arm zog. Dadurch, dass sie, wie er inzwischen wusste, ziemlich stark war und bei einer Größe von gut 1,80 Meter auch kein Leichtgewicht. Dadurch also stolperte er nun seinerseits unkontrolliert auf sie zu.
Sie drohten beide zu stürzen, stießen dabei gegen den Tisch. Zu spät ließ sie seinen linken Arm los. Der hatte bereits eine Karaffe umgestoßen, die im Kippen gegen die Gläser fiel und alles rollte und stürzte über die Tischkante …
Beide griffen gleichzeitig nach den Gläsern, der Karaffe und dem Stöpsel, der sich aus dieser gelöst hatte.
Ihre Hände stießen zusammen.
Leo gelang es trotz allem, eines der Gläser aufzufangen und sich gleichzeitig selbst, frei von seiner Angreiferin, zu stabilisieren.
Doch es war zu spät.
Das Klirren der auf dem gefliesten Boden zerschellenden Gläser und Karaffe war in der Stille der Nacht weithin zu hören.
Am Rande nahm er wahr, wie eine magere Katze wie ein Schatten durch die Küchentür in den mondbeschienen Garten hinaushuschte.
Hinter der anderen Tür, also aus dem Inneren der Villa, waren laute arabische Rufe zu vernehmen.
Wenn Leo richtig verstand, forderte ein Mann einen anderen auf, mit seinem Funkgerät Hilfe herbeizurufen. Und rief dann: „Die Engländer, ruf die Engländer.“
Was ein klein wenig desorientierend war, denn Leo selbst war ja Engländer.
Seine Gegnerin nutzte den winzigen Moment seiner Verwirrung und rannte um den Tisch zu der Tür, zu der sie kurz zuvor hereingekommen war.
Das Ganze war ein einziges Desaster und Leo musste ebenfalls zusehen, dass er wegkam.
Rückzug war die einzige vernünftige Option.
In der Tür stieß er mit der Unbekannten zusammen, während gleichzeitig hinter ihnen zwei Männer aus dem beleuchteten Flur in die Küche stürzten und durcheinander brüllten: „Halt! Oder wir schießen. Keine Bewegung.“
Leo und die Unbekannte drehten sich gleichzeitig um.
Die beiden Wachen kamen, ihre Pistolen wild vom einen zur anderen schwenkend, immer näher auf sie zu.
Anfängerfehler.
Überraschend harmonisch, wie ein eingespieltes Team, griffen Leo und die Frau jeweils einen der beiden an und entrissen ihnen die Waffen, ohne dass es den Männern gelang, auch nur einen Schuss abzufeuern.
Leo machte mit seinem Gegenüber kurzen Prozess. Wie er es zahllose Male trainiert hatte, drückte er, hinter dem Mann stehend, mit einem Würgegriff seines rechten Arms die beiden Halsschlagadern seines Gegners ab und erhöhte dadurch gleichzeitig den Druck auf bestimmte Rezeptoren, die sich dort befanden, was beides den Blutfluss zum Gehirn verringerte. Innerhalb von Sekunden hatte der Mann das Bewusstsein verloren. Wodurch Leo ihn ausschalten konnte, ohne ihn zu töten.
Wenn möglich, vermied er unnötige Gewalt. Außerdem wären ein Toter und die damit verbundenen Ermittlungen und die zweifellos intensive Suche nach dem Täter für seinen Einsatz mehr als hinderlich.
Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass die zweite Wache ebenfalls in sich zusammensackte.
An der Tür stieß er mit der Unbekannten zusammen. Schon zum zweiten Mal. Bloody hell!
Er ließ der Dame den Vortritt. Damit sie endlich abhauen konnten.
Fand sich im Garten wieder.
Und erblickte die Verstärkung, die die Wachen herbeigerufen hatten.
Drei martialisch aussehende Männer, die durch ein Tor vom Grundstück der Nachbarvilla auf sie zukamen.

Neugierig wie’s weitergeht? Dann könnt ihr hier das E-Book vorbestellen/kaufen.

Aus dem Leben einer Schriftstellerin

Okay, jetzt weiß ich auch nicht mehr.
Die Diktier-Software hat aus
sorgfältig blondiert
sorgfältig Blon die Erd
gemacht.
Da ist die Künstliche Intelligenz offenbar vom Wörterbuch abgewichen und kreativ geworden.
Unheimlich.

Die Bahamas-Connection, die ersten drei Kapitel des neuen Cori-Stein-Thrillers

Demnächst erscheint Die Bahamas-Connection, der 7. Cori-Stein-Thriller. Hier könnt ihr schon einmal die ersten drei Kapitel lesen. (Das fertige Buch weicht eventuell an einigen Stellen geringfügig von diesem Text ab. Und ist natürlich besser gesetzt.)

1

Ungeduldig ging Finn Snelsen auf dem sandigen Pfad auf und ab. Hin und wieder kickte er einen Stein ins Gebüsch.
Typisch Jonas. Immer musste er auf ihn warten.
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Sonne würde bald untergehen, aber es war immer noch hochsommerlich heiß. Es drängte ihn, endlich mit dem Motorboot zu ihrem Stützpunkt zurückzufahren. Nach Andros, der größten Insel oder eigentlich größten Inselgruppe der Bahamas, die irgendwie naturbelassener war als New Providence, die Insel, auf der er sich gerade befand. Und er sehnte sich nach der kleinen Forschungsstation dort, die im Moment sein Zuhause war.
Zu dieser relativ einsamen Stelle an der Südküste von New Providence, wo Finn im Moment unruhig auf und ab ging, verirrten sich nur wenige Touristen und auch die hatten inzwischen den Rückweg angetreten. Vermutlich, um in ihren Hotels zu Abend zu essen.
Jonas und Finn kannten den ramponierten Steg, an dem sie ihr kleines Boot festgebunden hatten, von ihren früheren Besuchen und steuerten ihn nun jedes Mal an, wenn sie Proviant kaufen wollten. Sie hatten einen kleinen, aber gut sortierten Laden gefunden, der weniger teuer war als die Geschäfte in Nassau, der Hauptstadt der Bahamas an der Nordküste von New Providence. Die Stadt war eine Touristenhochburg, in der gigantische Kreuzfahrtschiffe morgens ihre menschliche Ladung auskotzten. Es widerte ihn an, wie sich diese Leute ohne Rücksicht auf Verluste überall breitmachten.
Er wünschte, sie würden die Inseln und die Natur Menschen wie ihm überlassen. Menschen, die sie zu schätzen wussten. Und die sie schützen wollten.
Finn liebte die Bahamas, die Hunderte von Inseln umfassten. Nur New Providence mit seinen Menschenmassen konnte er einfach nicht ausstehen. Er konnte es kaum erwarten, seine Forschung über Tiger- und Hammerhaie endlich fortzusetzen. Genau. Jede Stunde, ach was, jede Minute, die sie sich hier unnötig aufhielten, war verschwendet.
Er zog sich zu einem kleinen, verfallenen Haus zurück, das nur einen Raum umfasste. Das Dach war längst verrottet, die Tür und die Fenster leere Öffnungen im Mauerwerk, dessen fleckige rosarote Farbe an vielen Stellen abblätterte und das von Löchern durchsetzt war.
Ob es sich um Einschüsse handelte? Bei früheren Besuchen hatten sie jedoch keine Kugeln in den Vertiefungen entdecken können.
Finn hatte seinen kleinen Rucksack im Schatten auf der nordöstlichen Seite des Hauses abgestellt. Daraus holte er nun eine Plastikflasche hervor. Ja, Plastik war ätzend für die Umwelt, aber so verkauften die Läden das Wasser leider. Er sollte sich jedoch endlich eine bessere Lösung einfallen lassen.
Hastig und in mehreren langen Zügen trank er das lauwarme Wasser. Schon besser.
Sie hatten ihre Einkäufe bereits in dem Boot verstaut, als Jonas, diesem Idioten, plötzlich einfiel, dass er noch unbedingt etwas kaufen musste, das er vergessen hatte. Er hatte Finn so merkwürdig angeschaut. Fast schuldbewusst. Wahrscheinlich war ihm glühend heiß eingefallen, dass Finn am nächsten Tag Geburtstag hatte.
Was wirklich nichts Besonderes war. Ab dem nächsten Tag wäre er 21 statt 20 Jahre alt. So what?
Er steckte die Flasche gerade zurück in den Rucksack, da ließ ihn etwas innehalten. Motorengeräusche. Die schnell lauter wurden. Ein Lkw bog von dem Schotterweg, auf dem eigentlich Jonas endlich auftauchen sollte, auf eine unbefestigte, freie Fläche ein, die offenbar als inoffizieller Parkplatz diente. Ihm folgte ein verschmutzter Pkw, der ebenfalls anhielt.
Zwei Männer stiegen aus dem Lkw aus, ein weiterer aus dem Pkw.
Wie merkwürdig. Was sie wohl hier wollten? Um diese Zeit?
Finn zog sich in den Schatten des Häuschens zurück und wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn. Er wünschte wirklich, Jonas würde endlich zurückkommen.
Einer der beiden Männer aus dem Lkw, afrikanischer Herkunft wie die meisten Menschen auf den Bahamas, wandte den anderen beiden Neuankömmlingen den Rücken zu und schaute gelangweilt in Richtung des Stegs und daran vorbei auf das Meer hinaus.
Die Flut hatte zwar inzwischen eingesetzt, doch noch war der Wasserstand nicht so hoch, dass er aus seiner Perspektive das flache Boot sehen konnte, das Jonas und Finn auf der anderen Seite des Anlegers vertäut hatten.
Die beiden anderen Männer standen vor den Fahrzeugen auf der dem Meer zugewandten Seite der freien Fläche und unterhielten sich eindringlich. Der zweite Mann aus dem Lkw war ein Weißer. Er hatte eine Reisetasche neben sich abgestellt und überragte seinen Gesprächspartner um Kopfeslänge. Dieser sah mit seinem schwarzen Haar und Schnurrbart und der ledrig braunen Haut aus wie ein Latino. Und wie jemand, der schon ziemlich alt war. Mindestens 50.
Gerade sagte er etwas und zeigte dabei auf die Reisetasche.
Der andere zuckte die Schultern und machte den Reißverschluss der Tasche auf. Er zog die beiden Seiten auseinander, sodass der Latino hineinschauen konnte.
Unwillkürlich musste Finn an unzählige ähnliche Filmszenen denken.
Da hörte er scharrende Geräusche. Das musste Jonas sein, der die Schotterstraße entlangjoggte und dabei Steine und Sand aufwirbelte.
Finn setzte an, ihn zur Eile anzutreiben. Doch im letzten Moment stoppte er. Etwas hielt ihn davon ab, die Aufmerksamkeit der drei Männer auf sich zu ziehen.
Jetzt konnte er Jonas sehen. Aber statt zu dem Steg oder zu Finn und der Hütte schaute dieser zu dem Weißen und dem Latino hinüber, die anscheinend dabei waren, irgendeinen Deal abzuschließen, ihn jedoch nun ebenfalls fixierten.
Lauf weiter. Zum Steg.
Finn setzte leise seinen Rucksack auf und machte sich bereit, loszurennen.
Doch Jonas blieb auf einmal stehen und starrte den einen der beiden Männer unverhohlen an. What the fuck? Sein Gesichtsausdruck wirkte verblüfft.
„Oh, hallo. So ein Zufall, Sie hier zu treffen“, sagte er und machte einen Schritt auf die Männer zu.
Dabei fiel sein Blick auf die Reisetasche, oder besser gesagt, auf deren Inhalt, den Finn aus der Entfernung jedoch nicht erkennen konnte.
Dann ging alles ganz schnell.
Ohne etwas zu erwidern, zog der Weiße seine Rechte hinter dem Rücken hervor. In der er eine Pistole hielt.
Und schoss.
Auf Jonas.
Der brach zusammen, während sein T-Shirt sich um die Schusswunde in seiner Brust herum blutrot färbte.
Finn stieß einen Schrei des Entsetzens aus und wich zurück.
Was? Wie?
Er fühlte sich benommen. Konnte nicht verarbeiten, was er gesehen hatte.
Der Weiße musste ihn gehört und einige Schritte zur Seite gemacht haben. Denn Finn befand sich nun voll in seinem Blickfeld.
Der Mann hob erneut seine Pistole, zielte auf Finn und schoss.
Die Kugel verfehlte Finn knapp, denn vor Schreck war er unwillkürlich hinter das Häuschen zurückgewichen.
Der Kerl wollte ihn erschießen!
Finn zwinkerte mehrmals kurz hintereinander mit beiden Augen. Mit einem Ruck löste er sich aus seiner Erstarrung und sprintete los.
Es gab nur einen Ort, der ihm Schutz bot. Einen Ort, an dem er sich immer sicher fühlte.
Er rannte zu der hölzernen Anlegestelle, die nur wenige Meter von ihm entfernt ins Meer hinausragte.
Der Killer rief den anderen etwas zu.
Ein Schuss knallte. Dann noch einer.
Haken schlagend raste Finn über den Steg, dessen Bretter unter seinen Füßen vibrierten. Zu seiner Rechten sah er wenige Meter weiter vorn das flache, weiße Boot.
Doch bis er den Außenbordmotor angelassen hatte, wäre er tot. Daran bestand kein Zweifel.
Im Laufen zog er den Rucksack von seinen Schultern und schleuderte ihn zur Seite, wo er im Wasser landete.
Weitere Schüsse und laute Rufe irgendwo hinter ihm. Doch sie drangen kaum noch in sein Bewusstsein.
Er war nun ganz konzentriert. Entspannte sich, wie er es schon Hunderte von Malen getan hatte.
Gleich hatte er das Ende des Stegs erreicht.
Er holte tief Luft.
Und sprang.
Er tauchte ein in das Wasser, das hier auf den Bahamas so klar war wie sonst fast nirgendwo auf der Welt.

2

Konzentriert tastete Cori Stein mit ihrem rechten Fuß nach einem Halt. Etwas weiter oben an der Wand fand sie eine Ausbuchtung, die gerade groß genug war. Sie setzte den Fuß fest auf, verlagerte ihr Gewicht und schob sich ein ganzes Stück nach oben, wo ihre rechte Hand sich festhalten konnte.
Es drängte sie, sich zu beeilen, um ihren Vorsprung zu dem Verfolger zu vergrößern. Doch jede Unachtsamkeit würde sie in Gefahr bringen, in mehr als 15 Metern Höhe so heftig abzurutschen, dass sie sich nicht mehr halten konnte.
Also blendete sie die Geräusche, die um sie herum zu hören waren, und alle Gedanken, die sie ablenkten, aus. Mit ihrer Linken strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, die in ihr Auge fiel und ihre Konzentration störte. Sie musste alle ihre Sinne auf das eine Ziel ausrichten.
So. Jetzt konnte sie den linken Fuß nachholen und mit der linkem Hand nach weiter oben umgreifen.
Okay, gut. Das hatte geklappt. Wenn sie keinen dummen Fehler machte, hatte sie es bald geschafft.
Etwas weiter unten hörte sie ein Keuchen, das ihr verriet, dass der andere näher kam, aber auch, dass die körperlichen Anstrengungen ihm Probleme bereiteten.
Nicht nach unten schauen. Sie durfte sich nicht ablenken lassen.
Zu spät. Sie hatte begonnen, sich nach oben zu ziehen, doch ihre rechte Hand rutschte in der flachen Vertiefung ab.
Ihr rechter Fuß verlor durch den unerwarteten Ruck, der durch ihren Körper ging, den Halt. Dann auch der linke.
Bis nur noch ihre linke Hand sie hielt. Und ihre Füße in der Luft baumelten.
Unwillkürlich sog sie den Atem ein. Panik drohte ihr Gehirn zu überfluten.
Falsch, ganz falsch.
Sie musste die Kontrolle wiedererlangen. Tief durchatmen. Sie würde es schaffen. Sie konnte das.
Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen, ihre Füße scharrten an der Wand, schoben sie nach oben, ein paar Zentimeter, noch einen, bis ihre rechte Hand einen kleinen Vorsprung gefunden hatte und zupackte.
Dieses Mal rutschte sie nicht ab.
Sie wusste, sie hatte genug Kraft in den Armen, dass sie sich halten konnte, bis auch ihre Füße wieder fest auf irgendwelchen Ausbuchtungen standen.
Vorsichtig tastete sie mit ihrem linken Fuß die glatte Fläche ab.
Das laute Atmen des Verfolgers kam näher. Sie konnte ihn aus dem rechten Augenwinkel schon sehen. Sie konnte ihn riechen.
Da. Ihr linker Fuß fand eine Einkerbung, sie schob sich nach oben, hatte schon einen neuen Halt für die linke Hand ins Auge gefasst, wollte …
„Frau Stein“, brüllte eine Stimme von unten.
Sie zuckte zusammen, rutschte ab, verlor den Halt.
Und fiel.

3

Dieser verdammte Idiot! Dieser dumme alte Kerl!
Hilflos baumelte Cori an dem Seil, mit dem ihre Partnerin sie sicherte. Sie gab der Mitarbeiterin der Halle ein Zeichen, sodass diese sie langsam an der Kletterwand entlang nach unten sinken ließ.
Der Mann, der Coris Namen gerufen hatte, war Jon Brecht, der Chefredakteur des KIOSK, einer Zeitschrift, für die sie manchmal als Journalistin arbeitete. Was sie im Moment zutiefst bedauerte.
Sie bis nach London und in ihre Freizeit hinein zu verfolgen. So eine Frechheit!
Sie konnte nur hoffen, dass es um etwas wirklich Wichtiges ging. Etwas von weltpolitischer Bedeutung. Einen drohenden dritten Weltkrieg. Mindestens.
Während sie das Seil von ihrem Klettergurt löste und aus diesem herausschlüpfte, schaute sie den Störenfried finster an.
Doch seine Mimik war nicht selbstsicher und überheblich wie normalerweise. Im Gegenteil: Er war blass und wirkte besorgt. So hatte sie den großen, mächtigen Jon Brecht noch nie gesehen.
Was brachte ihn in die englische Hauptstadt? Es musste etwas ungemein Bedeutsames sein, wenn er sein Büro im Redaktionsgebäude in Hamburg verließ, um persönlich mit ihr zu sprechen. Oder etwas sehr Geheimes.
In diesem Moment schwebte Leo von oben herab, kam rechts von ihr auf dem Boden auf und grinste sie an.
„Ich war als Erster oben“, sagte er in einem auf provokante Weise selbstzufriedenen Ton.
„Mit unfairen Mitteln“, erwiderte sie und betrachtete ihn eindringlich.
Er versuchte zwar, es zu überspielen, doch er wirkte angespannt. So, als habe er sich bis an die Grenzen seiner Kräfte verausgabt und als habe er Schmerzen, wolle aber beides nicht zeigen.
Seine Verletzung machte ihm auch nach Wochen immer noch zu schaffen. Die Verletzung, die er sich durch ihre Schuld eingehandelt hatte.
Wenn man so wollte, war das natürlich ebenfalls ein unfairer Nachteil.
Aber es blieb dabei: Sie hätte gewonnen, wenn Brecht nicht wie ein Verrückter durch die Halle gebrüllt und sie erschreckt hätte.
Apropos Brecht. Sie betrachtete ihn verärgert, aber auch neugierig von oben bis unten. Sein grauer Anzug verriet einen eher konservativen Geschmack. Der Mann selbst war mittelgroß, weder dick noch dünn und sein graues Haar trug er in einem korrekten Kurzhaarschnitt.
Trotz seines durchschnittlichen Äußeren ließ er sich nur schwer ignorieren. Das lag nicht nur an seiner dröhnenden Stimme, sondern an seiner gesamten Ausstrahlung. Er erwartete einfach, dass man ihn und das, was er zu sagen hatte, zur Kenntnis nahm und dass man tat, was er wollte. Bei Cori konnte er da lange warten.
Hatte sie Brecht überhaupt schon einmal außerhalb der Redaktion gesehen? Sie konnte sich an keine solche Gelegenheit erinnern. Immer ging sie zu ihm. Dass er zu ihr kam, und auch noch nach London, in eine Kletterhalle, und all das spontan, ohne Termin, hatte etwas zu bedeuten. Aber was? Vermutlich nichts Gutes.
Oder doch? Eine supergeheime Story?
„Ich bin privat hier“, unterbrach der Chefredakteur des KIOSK Coris Gedanken.
„Privat?“
„Können wir reden?“, fragte er drängend.
Hinter ihm warteten bereits zwei Personen, um ihr Glück an der Kletterwand zu versuchen. Der Mann und die Frau, die Leo und Cori beim Erklettern der fast 20 Meter hohen Wand gesichert hatten, waren diskret zur Seite getreten, schienen jedoch ebenfalls weitermachen zu wollen.
„Meinetwegen“, sagte Cori. „Aber nicht hier.“
Sie konnte ihre Neugier kaum bezähmen. Unter der Dusche und während sie sich in Windeseile umzog, versuchte sie, sich an Details über Brechts Privatleben zu erinnern. Vergebens.
Wie sich herausstellte, wusste sie praktisch nichts über den Mann, den sie seit Jahren aus allen Ecken der Welt mit sensationellen Artikeln belieferte. Sie hatten miteinander, wenn überhaupt, nur über die Arbeit gesprochen und das relativ selten. Coris direkter Ansprechpartner war Carsten Meyer, einer der vielen Redakteure des KIOSK. Solange es nicht um etwas extrem Wichtiges ging. Schließlich war Jon Brecht als Chefredakteur eines weltbekannten Magazins ein viel beschäftigter Mann.
Andererseits war Cori immer für brisante Geschichten gut, weshalb Brecht sie nicht wie andere freie Mitarbeiter seines Hefts völlig ignorieren konnte oder wollte.
Im Laufschritt betrat sie die Cafeteria der Sportanlage, in der Brecht auf sie wartete.
„Also, worum geht’s?“, fragte sie ihn, noch bevor sie richtig saß.
Leo war noch nicht da. Bestimmt föhnte er noch sein Haar oder tat irgendetwas anderes Irrelevantes.
Doch sie hatte ihm Unrecht getan, denn in diesem Moment gesellte er sich zu ihnen. Und er hatte ihr Kaffee mitgebracht. „Schwarz wie die Nacht“, wie er sagte, während er den Becher vor ihr auf dem Tisch abstellte.
In seinem Becher befand sich höchstwahrscheinlich Tee.
Brecht hatte sich bereits selbst versorgt.
Bevor sie ihre Frage wiederholen konnte, antwortete ihr der Chefredakteur endlich. Wie gewöhnlich mit lauter, sonorer Stimme. Er schien sich etwas gefangen zu haben und wirkte ernst und konzentriert. „Es geht um meinen Patensohn. Er ist verschwunden.“
Vielversprechend, sogar irgendwie spannend, aber auch ziemlich vage.
Mit einer Handbewegung bedeutete Brecht Cori, dass er noch nicht fertig war. „Sein Name ist Finn Snelsen. Er studiert Meeresbiologie an der Daytona-Dade University in Miami, Florida, und befindet sich für einen Forschungsaufenthalt auf den Bahamas. Dort ist er vor zwei Tagen verschwunden.“
Cori hatte eine Notizkladde aus ihrer Sporttasche gefischt (eine gute Reporterin war auf alles vorbereitet, vor allem auf eine neue Story) und begonnen, sich Notizen zu machen, wobei das Wasser, das aus ihrem Haar tropfte, die Schrift an einer Stelle schon wieder verschwimmen ließ. Mist.
Sie blickte auf und sah nicht nur, dass Leos dunkelbraunes Haar wie erwartet trocken war, sondern auch, wie sich auf seinem Gesicht bei dem Wort Bahamas ein Lächeln ausbreitete.

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Warum ich nicht mehr blogge

Aktualisierung: Inzwischen veröffentliche ich einfach hier auf der Website sporadisch Posts mit unterschiedlichen Inhalten. Mehr dazu auf der Seite Blog.

Mein Internet-Auftritt ist zurzeit recht spartanisch, denn ich habe meine Blogs aus dem Netz genommen. Der Grund ist die DSGVO. Ich hatte die  Blogs bei den Anbietern Blogspot (das Schreibblog) bzw. WordPress.com (eines über Krimis, das andere über Wissenschaft) eingerichtet und ich habe nicht gesehen, wie ich sie zu 100 Prozent DSGVO-konform gestalten konnte. In Deutschland ist das besonders prekär, weil es hier, anders als in vielen anderen Ländern, die Möglichkeit der Abmahnung gibt. Leider will es mir auch nicht gelingen, auf dieser Website ein Blog/Blogs einzubinden.

Was schade ist, weil ich es wirklich genossen habe, völlig frei von Verlagen und anderen “Gatekeepern” Posts zu den jeweiligen Themen zu schreiben und zu veröffentlichen und so auf direktem Weg interessierte Leserinnen und Leser zu erreichen. Jetzt schreibe ich, weniger und hauptsächlich über meine Krimis, auf meiner Facebookseite und bei Instagram. Und ich bin nicht die Einzige, die sich für diesen Weg entschieden hat. Ein Forschritt?

Ich habe nun überlegt, meine Website plus Blogs bei einer anderen Host-Plattform neu und entsprechend den Vorschriften aufzusetzen, weil mir meine Blogs doch sehr fehlen. Allerdings soll demnächst die ePrivacy-Verordnung in Kraft treten. Bereits in das Verstehen und Umsetzen der DSGVO habe ich unglaublich viel Zeit gesteckt, nicht Stunden, sondern Tage. Das droht dann im Hinblick auf die neue Verordnung wieder (bzw. schon jetzt nach dem  Urteil des EuGH in Bezug auf Cookies). Zumal sich ja nicht einmal Fachleute einig sind, was man tun muss und tun darf.

Fazit: Ich glaube, dass wir alle besser damit bedient sind, wenn ich meine Zeit und (Gedanken)Kraft in Geschichten für neue Bücher investiere und meine Website vorerst so minimal und cookie-frei lasse, wie sie im Moment ist. Im Hinblick auf meine Schreibtipps habe ich mir außerdem einige Auswege überlegt. (S. oben und ganz unten auf dieser Seite.)

Und natürlich können Sie jederzeit meine Schreibratgeber lesen, die Sie hier finden.

Über Terrorismus berichten – ohne den Schaden zu vergrößern

Das Folgende habe ich alles im August 2017 in meinem inzwischen aus dem Netz genommenen Blog Mehr wissen, besser leben gepostet und jetzt hierhin kopiert, damit ich dazu verlinken kann. Leider ist es immer noch und immer wieder Thema.

Das September-Heft von Psychologie Heute enthielt 2017 meinen Artikel über die (Wechsel)Beziehung zwischen Terrorismus und den Medien. Der Titel: Terror ist gut fürs Geschäft. Vieles davon lässt sich auch auf ähnliche Gewalttaten, etwa sogenannte Amokläufe, übertragen.

Hier die wichtigsten Quellen und im Anschluss daran weitere interessante Funde zum Thema, die ich gemacht habe, nachdem ich den Artikel schon eingereicht hatte.

Die wichtigsten Quellen:

Buch

Frank J. Robertz, Robert Kahr (Hgg.): Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus. Springer, Berlin 2016

Wichtige Artikel:

(Reihenfolge der Angaben: Autoren/Titel/Zeitschrift/Nr./Jahr/Seiten/DOI)

Erin M. Kearns, Allison Betus, Anthony Lemieux/Why Do Some Terrorist Attacks Receive More Media Attention Than Others?/SSRN/5. März 2017/https://ssrn.com/abstract=2928138

Erin M. Kearns, Allison Betus and Anthony Lemieux, Yes, the media do underreport some terrorist attacks. Just not the ones most people think of. https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2017/03/13/yes-the-media-do-underreport-some-terrorist-attacks-just-not-the-ones-most-people-think-of

Daniel Geschke, Jana Eyssel, Wolfgang Frindte/ Immer richtig informiert? –Zusammenhänge zwischen Fernsehkonsum und Islamophobie/ In Farid Hafez (Hrsg.), Jahrbuch für Islamophobieforschung, New Academic Press, Wien 2014/162-179

Charlie Beckett/Fanning the Flames: Reporting on Terror in a Networked World/22. September 2016/https://www.cjr.org/tow_center_reports/coverage_terrorism_social_media.php

Michelle Slone/Responses to Media Coverage of Terrorism/Journal of Conflict Resolution/44(4)/2000/508-522/10.1177/0022002700044004005

Sarah Oates/Comparing the Politics of Fear: The Role of Terrorism News in Election Campaigns in Russia, the United States and Britain/International Relations/20(4)/2006/425-437/10.1177/0047117806069404

Bertel T. Hansen, Søren D. Østergaard, Kim M. Sønderskov, Peter T. Dinesen/Increased Incidence Rate of Trauma- and Stressor-Related Disorders in Denmark After the September 11, 2001, Terrorist Attacks in the United States/American Journal of Epidemiology/184(7)/2016/494-500/10.1093/aje/kww089

Alison Holman, Dana Rose Garfin, Roxane Cohen Silver/Media’s role in broadcasting acute stress following the Boston Marathon bombings/PNAS/111(1)/2014/93-98/10.1073/pnas.1316265110

Sherry Towers, Andres Gomez-Lievano, Maryam Khan, Anuj Mubayi, Carlos Castillo-Chavez/Contagion in Mass Killings and School Shootings/PLoS ONE/10(7)/2015/10.1371/journal.pone.0117259

Außerdem:

„Transparenz ist das Gebot der Stunde“, Interview mit Bernhard Pörksen, https://www.ndr.de/kultur/Sollte-mehr-ueber-Positives-berichtet-werden,journal690.html

Bruce Hoffman, Inside Terrorism, Chapter One, http://www.nytimes.com/books/first/h/hoffman-terrorism.html

Jason Burke, How the changing media is changing terrorism, https://www.theguardian.com/world/2016/feb/25/how-changing-media-changing-terrorism

Scott Atran, Mindless terrorists? The truth about Isis is much worse, https://www.theguardian.com/commentisfree/2015/nov/15/terrorists-isis

Nicky Woolf, Fox News site embeds unedited Isis video showing brutal murder of Jordanian pilot, https://www.theguardian.com/media/2015/feb/04/fox-news-shows-isis-video-jordan-pilot

„Je fremder, desto schlimmer unsere Fantasien“, Interview mit Ortwin Renn, http://www.zeit.de/wissen/2017-02/sicherheit-deutschland-fluechtlinge-risikoforschung

Alexander Spencer, Terrorism and the Media,  http://www.ahrc.ac.uk/documents/project-reports-and-reviews/ahrc-public-policy-series/terrorism-and-the-media/

Interessante spätere Funde, die mit dem zu tun haben, was ich in meinem Artikel beschreibe:

– Zum Thema selbst ein vor Kurzem erschienener Beitrag von einer Expertin (Brigitte Nacos): London’s Latest Terrorist Attack: Another Example of Mass-Mediated Contagion of Political Violence

– Zu: Was ist Terrorismus und was nicht? (Fließende Übergänge): https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/may/25/neo-nazi-islamist-terror-narratives-upside-down

– Guter Rat für die Medien – und uns alle – von Mr. (Fred) Rogers: https://www.youtube.com/watch?v=-LGHtc_D328

– Metaphern beeinflussen das Handeln https://www.theatlantic.com/politics/archive/2017/06/the-blurry-line-between-violent-talk-and-violent-action/530367/?utm_source=nl-atlantic-daily-061417

– Die Polizei Oberbayern Süd schrieb auf Facebook über ein anderes Phänomen, bei dem die Berichterstattung zu Nachahmungen führt (Hervorhebungen von mir):

Eine angeblich hochgefährliche Internet-Challenge macht derzeit Schlagzeilen und das ist genau das Problem – Die Challenge bekommt gerade durch die massive Medienberichterstattung Aufwind und so werden vor allem Jugendliche darauf aufmerksam. Wie bei vielen Phänomenen ist die Berichterstattung ein zweischneidiges Schwert. Einerseits soll gewarnt werden, andererseits weckt gerade die dramatische Darstellung erst das Interesse an einem Phänomen.

In Deutschland sind derzeit nur vereinzelte Fälle bekannt, bei denen die sog. #BlueWhaleChallenge angeblich Auslöser für Selbstverletzungen gewesen sein soll.

Panikmache in sozialen Netzwerken oder auch im realen Leben bewirken erst, dass solche Challenges zum Hype und somit verbreitet werden. Wir raten daher dringend davon ab, entsprechende Meldungen unreflektiert zu teilen.

– Interview mit dem Wissenschaftler Michael Jetter: Is There a Link Between Mass-Media and Mass-Murder?

Selbstverpflichtung gegen den Terror (Digitale August-Notizen)

– Neues Forschungsprojekt: http://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/projects/verantwortliche-terrorismusberichterstattung

– Neue Studie, Zitat: „If terrorists do not receive media attention, they will attack less.“, s. https://doi.org/10.1016/j.jpubeco.2017.07.008

How graphic is too graphic when covering Florida high school shooting?

– Sehr interessanter Beitrag zum Amoklauf in Florida: In Parkland, journalism students take on role of reporter and survivor

Hier ein Absatz, in dem es um einen Aspekt geht, den ich auch in meinem Artikel anspreche:

Still, the student newsroom is faced with the same dilemmas—and choices—as all working journalists. Nookala laments that the shooter’s face (and stories about his homelife) seemed to crowd coverage of the victims, and of the survivors now rallying political support for gun control—a longstanding journalistic dilemma. The student reporters can’t control the decisions of mainstream media, but they can make journalistic calls of their own: Neither of the stories Ma and Nookala wrote for The Eagle Eye name the shooter.